Eigentlich gehört es ganz und gar zu unserem Mensch-Sein: das Bitten. Es ist Ausdruck der Herzensbildung und unserer Sozialnatur: Kein Mensch ist eine Insel. Alle Menschen sind ergänzungs-bedürftig, Menschen brauchen einander. Und dennoch wehrt sich oft in unserem Inneren etwas dagegen, angewiesen zu sein auf die Gabe eines anderen. Lieber ist es uns oft, wenn wir das Nötige allein „hinkriegen“, im eigenen Tun autonom, unabhängig sind. Viele ältere Menschen haben Mühe damit, sich helfen zu lassen. Die Folge ist nicht nur Vereinsamung: Es entsteht auch ein Gefangen-Sein in der kleinen Welt eigener Vorstellungen, im eigenen Gedanken-Karussell – verbunden oft mit einer grundlegenden Skepsis im Blick auf andere Menschen. Bitten will gelernt, geübt sein.
Mich vor Gott als Bittenden zu sehen, dafür ist jetzt an Pfingsten eine gute Zeit: die große Bitte um die Gabe Gottes, den Atem-Geist. Das ist nicht eine Bitte unter vielen: Das ist die Bitte aus unserer Mitte, aus unserem Wesen. Meditierende wissen um die Bedeutung einer solchen Bitte – im Sitzen, der Bewegungslosigkeit, im Nicht-Tun. In der empfangenden Haltung der Hände wird der Leib zur körperlich-vertrauenden Bitte. Noch vor allen Worten zeigt diese Haltung, dass wir uns selbst nicht hinausführen können aus dem Kreisen um das eigene Ego. „Komm, Heiliger Geist!“ – so stand es auf der Holztafel im Dokusan-Warteraum des Kardinal-Hengsbach-Hauses. So wichtig Schweigen und Stille für diese Geste eigener Bedürftig- und Empfänglichkeit sind: Worte des Bittens bleiben eine große Hilfe. Es war niemand Geringeres als Yamada Roshi, der seine buddhistischen und christlichen Schüler darauf hinwies, dass Gebet und Zen-Meditation sich nicht ausschließen. Worte des Vertrauens können helfen, dass sich auf dem spirituellen Weg Türen öffnen, dass in aussichtslos erscheinenden Situationen die Zuversicht nicht abhanden kommt. „Denn wir wissen nicht, was wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern.“ So schreibt Paulus im Brief an die Gemeinde in Rom. Hier treffen bedürftige Bitte und Hilfe aufeinander; nicht Wissen und nicht Vermögen treffen auf das alle Worte übersteigende Flehen des Gottes-Atems in uns.
Was bewirkt dieses Flehen? Zunächst: Es öffnet und weitet. Es ist, als ob wir uns selbst und unsere Welt mit gereinigten Augen sehen: zugleich im Glanz ihres grenzenlosen Wesens und voll Erbarmen in ihrer Begrenztheit. Es befreit dazu, nicht festhalten zu müssen an alten und vertrauten Mustern, ja eine Neugierde zu entwickeln für bisher nicht möglich Gehaltene, neue Wege; neue Wege, für die meine menschliche Begrenztheit kein Hindernis ist. Es gehört zur Weisheit (nicht nur) der jüdisch-christlichen Tradition, dass der Geist dort wirkt, wo menschliches Latein am Ende ist. Gerade und erstaunlicherweise dort erfahren Menschen, was „Leben in Fülle“ – Fülle, Maßlosigkeit ist ein Merkmal des Gottesatems! – bedeutet. „Im Machen sind wir begrenzt, im Empfangen unbegrenzt. Und: Wir können um alles bitten.“ (P. Johannes).
So manche Krise, welche die Menschen belastet und bedroht, hat wohl damit zu tun, dass Einzelne, Gruppen und ganze Staaten sich verabsolutieren und damit isolieren. Das ist das genaue Gegenteil von Bitten. Menschliches Überleben und Versöhnung setzt in allen Beteiligten ein bittendes Bewusstsein voraus – ein Bewusstsein, das sich immer wieder neu in die Einheit, in das Nicht-getrennt-Sein hinein fleht und bittet. Viel hat sich da schon gewandelt, das ist nicht zu übersehen. In vielen Menschen ist diese Überzeugung bereits lebendige Gegenwart. Aber es wundert nicht, dass es in einem solchen globalen Wandlungsprozess Ängste und Hindernisse gibt. Dass viele Menschen lieber im Vertrauten-Kleinen bleiben wollen, als sich auf das Unvertraut-Ganze einzulassen.
Bitten will geübt sein: nicht nur auf dem Kissen, nicht nur zu Pfingsten. Auch in der alltäglichen Geste: sei es die bittende Frage, sei es die herzliche Gabe – etwa von Aufmerksamkeit und Zeit. So manche Situation unseres alltäglichen Lebens ist eine kostbare Gelegenheit, mir helfen zu lassen und Hilfe anzubieten.
Zum guten Beschluss: Ich lade herzlich dazu ein, sich in den kommenden Tagen den TeilnehmerInnen der Pfingst- Sesshins anzuschließen: in Vallendar und in Rom.
Diese Erfahrung und ihr Ausdruck sind bekannt – vielleicht nach einem erfrischenden Bad, einem klärenden Gespräch, einem erholsamen Urlaub, einer Fastenkur – und oft ganz intensiv nach einem mehrtägigen Verweilen in der Stille: Der Himmel sieht wie geputzt aus, das Innere ist aufgeräumt – und alle Dinge erscheinen kostbar, wie leuchtend, transparent, verbunden. Es ist dann nicht nur ein Bild „Wie neu geboren“. Es ist Realität. Etwas ist geschehen – auch, wenn ich es nicht in Worte fassen kann.
Ostern ist das Fest der Neugeburt schlechthin. Das Leben, das sich in Jesus Christus am Kreuz verschenkt hat, hat den Tod „verschlungen“ – oder besser: in sich aufgenommen. Der Tod ist nicht mehr Feind des Lebens, sondern das Tor zum Leben in Fülle. Jesus selbst spricht im Johannes-Evangelium davon, dass es im wahrsten Sinne des Wortes notwendig ist, von Neuem geboren zu werden. Das Grundsakrament der Taufe, das ja zutiefst mit dem Osterfest verbunden ist, wirkt in seiner eigenen wirkmächtigen Symbolik: ins Wasser untertauchen, quasi „sterben“ und als „neuer Mensch“, als Schöpfung in Christus auferstehen. Den alten Menschen aus- und den neuen anziehen. Die alte Identität verlieren und das „wahre Wesen“ in mir zum Leben und Wirken kommen lassen. Für Christen kann das heißen: Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Mit diesem „Nicht“ – der Verneinung all dessen, was ich bisher als das „Meine“ betrachtet habe – berühren sich die Traditionen von West und Ost, Christentum und Zen-Buddhismus. Auch hier ist von „Neu geboren“ die Rede, vom „Nicht-Selbst“, von der „leeren Mitte“ – womit in negativer Sprache zum Ausdruck kommt, dass der Mensch ein Unendlichkeits-Wesen ist.
Aber wie kann das geschehen? Die Frage lenkt den Blick auf das Kreuz. Die Grundhaltung des Gekreuzigten war, nicht festzuhalten – loszulassen. Entäußerung nennt das die Bibel. Und sie spricht von den Geburtswehen, in denen die ganze Schöpfung liegt, damit das Neue offenbar werden kann. Wieder ein Punkt, in dem sich die Traditionen berühren: In dem auf Worte, Begriffe, Bilder und eigenen Status verzichtende Schweigen wird der Mensch empfänglich für das, was er nicht machen, sondern nur empfangen kann. Das ist nicht – wie leider oft missverstanden – ein kaltes, liebloses „Sitzen und Nichts-machen“. Es ist eine Stille, welche sich im geduldigen Loslassen mit immer tieferen Schichten („Wehen“) verbunden weiß mit allem, was geschieht. Je mehr die eigene alte Identität, das begehrende Ich, stirbt, umso mehr ist Raum für sich hingebende Liebe.
Das ist menschenmöglich. Es gehört zum menschlichen Potenzial, das freigelegt werden will. Und es hat – Leben wie neu geboren – natürlich Auswirkungen auf unser Tun. Freilich kommt das Tun dann nicht mehr als erstes: „Die Menschen sollen nicht so viel nachdenken, was sie tun sollen, sie sollen vielmehr bedenken, was sie sind.“, sagte einmal Meister Eckhart. Daraus resultiert ein anderes, nicht durch Streben nach Erfolg, Macht oder Anerkennung geleitetes Tun – ein Tun, das mit allen persönlichen Gaben und Fähigkeiten sich einbringt, von Moment zu Moment, ganz nahe an der Wirklichkeit, wie sie sich zeigt.
Jetzt – in einer Zeit zunehmender Verwirrung und Polarisierung – scheint es, als ob die Menschheit eingeladen ist, den Weg des Herausgehens aus dem Eigenen, dem begrenzten Ich, hin zur wahren österlichen Identität mit aller Entschiedenheit und allem Vertrauen zu gehen.
Möge unser Programm dazu einen Impuls geben, gerade jetzt. Aus der Stille des Ostersesshins wünschen wir Ihnen von Herzen die österliche Erfahrung von Leben in Fülle!
Jedes Mal, wenn ein Sesshin beginnt wie vorhin um 19.30 Uhr mit der dreimal geschlagenen Klangschale, spüre ich eine tiefe Gefühlsbewegung in mir. Eine Mischung verschiedener Gefühle ist da aktiv. Ein Gefühl von Erwartung, manchmal gar von Spannung. Es ist keine Anspannung, sondern eher so, wie sie beispielsweise ein Fußballspieler wohl empfindet, wenn er zum Beispiel als Einwechselspieler den Rasen betritt und zu seiner Position auf dem Spielfeld läuft. Viele machen dort am Rand des Spielfelds ihre eigenen Rituale, die sie einstimmen und die ihnen Glück bringen sollen. So ähnlich empfinde ich die drei, langsam ausklingenden, Töne der Klangschale. Sie sind eine Einstimmung und eine Verheißung von etwas Kommendem, das ich nicht überblicke, auch wenn ich – ähnlich wie der Fußballspieler – grundsätzlich weiß, mit welchem Rahmen, mit welchen Aufgaben und mit welchem zeitlichen Limit ich in den kommenden Tagen zu tun habe. Auch wenn ich nun seit mehr als 30 Jahren ein solches Einläuten eines Sesshins erlebt habe, ist es jedes Mal wieder neu. Und dies erhoffe ich auch für Euch – diesen Anfängergeist, dieses Erleben von ja, man kann sagen – kindlicher Neugier und Freude, an einem Sesshin teilzunehmen.
Wir sind hier in der Ganzheit von Geist und Körper. Bewusst benutze ich an dieser Stelle nicht das Wort Leib, weil ich jegliche Überhöhung, die oftmals mit dieser Wortwahl verbunden ist, vermeiden möchte. Nein, ich meine wirklich diesen Körper, der altert, Falten hat, Schwächen und Gebrechen zeigt, der aber die Fähigkeit besitzt, auf alles um ihn herum und in ihm verborgen in wunderbarer Weise zu reagieren, zum Beispiel all die Gefühle so auszudrücken, dass schon dadurch ohne weitere Worte Kommunikation erfolgt und wir uns als Menschen verstehen – in der Erfahrung und mit einem Erfahrungswissen von jedermann und jederfrau.
So finden wir, je mehr wir dieses Zusammenwirken von Geist und Körper achtsam zulassen und aufmerksam beobachten, hin zu diesem Weg, der der Zen-Weg genannt wird. Ein Weg der Praxis, ganz konkret – mit Körper und Geist – in äußerlicher und innerlich vollzogener Aufrichtung. Diese Kommunikation, wie sie gerade in einem Sesshin in den Zeiten gemeinsamen Schweigens im Zazen ebenso stattfindet, wie in den Dokusans, in den Pausen, den Spaziergängen, den Gängen zur Klosterkirche und so weiter, hat wenig gemein mit dem, womit man sich allenthalben befasst, wenn von Kommunikation die Rede ist, die verbessert werden müsse, die bestimmte Regeln beachten müsse, wenn sie funktionieren solle, jener Kommunikation, die Gegenstand von Wissenschaft und ihrer Anwendung in Unternehmen, Institutionen, Verbänden, Vereinen und Gruppen ist. Hier im Sesshin gelten andere Regeln, nämlich die, einfach da zu sein, den Geist im Zusammenwirken mit dem Körper im natürlichen Agieren machen zu lassen, was er der persönlichen Situation und Beschaffenheit entsprechend tut. Es ist nichts gefordert, außer uns dem aufmerksam und achtsam zu überlassen und genau hin zu schauen. Wir sind zum Vollzug aufgefordert, wie es die vier Gelöbnisse ansprechen, die wir in den nächsten Tagen rezitieren werden, und dies in der Annahme all unserer Defizite und Fehler und der Bereitschaft, uns helfen zu lassen, aus dem Kreislauf ständigen Erreichenwollens und Vergleichens herauszufinden zu einem inneren Frieden, der aus der Erkenntnis resultiert, dass es nichts zu erreichen gibt.
Allerdings: Ist das nicht anmaßend und ignorant, heutzutage, im Februar 2023, während des andauernden Krieges in der Ukraine und nach dem sich jüngst ereigneten schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien von inneren Frieden zu sprechen und uns dessen Erlangung zuzuwenden? Eine gewichtige und sehr berechtigte Frage, der wir uns stellen müssen, sie also nicht verdrängen sollten. Ich denke, ich treffe den Gemütszustand, den viele Menschen in der jetzigen Zeit bei sich und anderen erleben, wohl ganz treffend, wenn ich von Zerrissenheit oder einem Hin- und Hergerissensein spreche. Diese neuen Wirklichkeiten zerren an uns. Sie verlangen Aufmerksamkeit und Zuwendung – und schreien förmlich nach Lösungen. Zugleich führen sie uns, ob wir wollen oder nicht, den Grundkonflikt vor Augen, in dem sich die Menschheit von Anbeginn an, mythologisch oder jüdisch/christlich-religiös gesprochen, seit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies befindet: dem Konflikt von gut und böse in der Welt – und in uns. Und überlagert von der Frage danach, wie das sein kann, dass das absolut Gute, gedacht oder geglaubt in Gott, all das zulässt an Leid, das wir tagtäglich erleben oder beobachten können. Eine als solche nicht lösbare „Warum-Frage“!
Nur eines ist möglich, oder genauer gesagt, zweierlei ist möglich – und gefordert: Das ehrliche und nicht beschönigende (und auch nicht dramatisierende) Hineinnehmen all des Elends in unsere Meditation als nicht zu leugnender Hintergrund oder gar Untergrund auch unseres Seins – in Spürung unserer Machtlosigkeit und Traurigkeit (auch deswegen). Wir ziehen uns also nicht zurück in einer Art Fluchtbewegung weg von alldem da draußen (genauso wenig weg von alldem in uns drinnen), sondern in dem klaren Bewusstsein unseres Eingebunden- und Verflochtenseins mit und in alldem. Das ist das eine! Das andere ist, die Wichtigkeit einer sich dadurch ergebenden oder bestärkenden Bereitschaft für eine offene Zuwendung zur Welt. Nur durch und in diesem zweiten Schritt realisiert sich Erwachen im Sinne des Zen. Er ist Teil der Zen-Praxis. Die Einbeziehung der komplexen phänomenalen Wirklichkeit in all ihren Facetten ist so auf zweierlei Weise integraler Bestandteil einer Zen-Praxis. Dies gibt der Versenkung im Zazen und unserem Dasein als Mensch in gerade dieser Welt den eigentlichen Sinn. Wenn es uns gelingt, so zu üben, in Übereinstimmung und im Einklang mit dem, wie die Dinge (und wir) sind, sind Praxis und Erwachen nicht zwei.
Danke! Klaus Fahrendorf (Cloud of merciful Awareness)
In diesen Tagen rückt ein Ort in den Mittelpunkt, der uns einlädt, dass wir dorthin unsere Zuflucht nehmen in all unseren Nöten: Bethlehem – zu Deutsch: “Das Haus des Brotes”. Hier, ganz tief in uns, im Beginn, finden wir, wonach wir suchen: ER ist es, der gekommen ist, um alle Lebewesen zu retten, um alle Ego-Fesseln zu lösen, um uns die Wahrheit in Liebe zu lehren und uns den Weg... Artikel ansehen
Auf die Frage, was die Zukunft wohl bringen wird, antworten viele Zeitgenossen wohl nicht mit erfreulichen Erwartungen – und es scheint, dass sie dazu ja allen Grund haben. Auch die Medien überbieten sich Tag für Tag in der Dramatik der Darstellung und geben dadurch dem inneren Dramaturgen, der in jedem Menschen lauert, reichlich Stoff. Nüchterne Fakten emotional anzureichern und daraus fast schon ein Weltuntergangs-Szenario zu gestalten, dieses Talent scheint irgendwie... Artikel ansehen
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