Spirituelle Impulse

Das Licht, das in der Finsternis leuchtet

Es ist eine uralte Menschheitserfahrung, die in der Weih-Nacht eine neue Qualität bekommt:
“Wenn du meinst, es geht nicht mehr, dann kommt von irgendwo ein Lichtlein her.”
Oder: “Wo die Not am größten, ist die Hilfe am nächsten.”
Damit soll die Not nicht schöngeredet sein, im Gegenteil:
Erst wenn der Mensch aufhört, dem inneren Dunkel aus dem Weg zu gehen, davor zu fliehen, wenn er es sieht und es annimmt, erst dann wird er empfänglich für das „Licht, das jeden Menschen erleuchtet“.
Der Weg der Stille, das Abenteuer des Geistes, die wachsende Erfahrung des Nicht-Getrennt-Seins verbieten es, die Not und das Dunkel in einem anonymen „Draußen“ zu sehen.
Dieses Draußen gibt es nicht!
Es ist meine Wirklichkeit! Alles!
Auch der Hunger des Menschen am anderen Ende der Welt. Auch der Hass, der sich über Jahrzehnte angestaut hat und sich jetzt in unmenschlicher Gewalt äußert.
Meine Wirklichkeit – die darin liegende Überforderung – ist eine Herausforderung an mein Vertrauen, dass menschlich Unmögliches geschieht:

Und das ist die Weih-Nacht, die Menschwerdung Gottes in unserem Fleisch, unserer Ohnmacht, unseren Konflikten, unserer Unvollkommenheit, unserer Sterblichkeit, unserem vorübergehenden Leben: menschlich unmöglich.
Und doch ist es geschehen!
Und doch geschieht es im Menschen!
Oft in Menschen am Rande ohne Wertschätzung, wie damals in den Hirten. Oft an Orten außerhalb der großen öffentlichen Aufmerksamkeit, wie damals in Betlehem. Oft in Situationen, in denen ein Mensch nicht mehr weiter weiß, wo bisherige Sicherheiten wegbrechen und Platz dafür machen, das Neue mit leeren Händen zu empfangen. Und in jedem Menschen, der dies in sich geschehen lässt, der das über 2000 Jahr alte Hoffnungslicht weiterträgt, ist ein Neu-Anfang geschenkt.

Ein Aspekt dieses Beginns besteht wohl in einer größeren Zuversicht, einem tieferen Glauben in die eigene Wunschkraft. Gerade da, wo auf direktem Wege nichts zu „machen“ ist, wo es kein „recht und unrecht“, „richtig und falsch“ gibt, da ist diese „Power“ gefragt. Sie kann sich ausdrücken in einem Gebet, das nur wenige oder gar keine Worte beinhaltet, das vielleicht eher wie ein aus der Tiefe kommender Schrei oder Seufzer ist. Oder auch im Aushalten und Mittragen der in der Stille als „Leere“ empfundenen Sehnsuchts-Realität in uns.

Machen wir in diesen Tagen unsere Wunschkraft einander zum Geschenk. Dann wird der „Pegel des Vertrauens“ steigen und Herzen weit werden lassen.
Zu allen Zeiten hat das Kind in der Krippe Menschen um sich versammelt, die aus Fremden zu Nächsten wurden. Hat Grenzen überwunden und Wunden geheilt, die Nationen, Weltanschauungen, Religionen, persönliche und familiäre Geschichte verursacht hatten. Mehr denn je hat unsere Gegenwart es nötig, dafür berührt und geöffnet zu werden.

Jochen Klepper dichtete 1938:
„Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“

Herzlich wünsche ich Ihnen gesegnete und erfüllte Weihnachtstage und einen zuversichtlichen Beginn 2024.

P. Paul

Bilder: Inge Hausen-Müller

Leben aus der Mitte im Advent 2023

Es geht weiter: eine neue Zen-Lehrerin:
Dieses Mal möchte ich einige Ereignisse mit Ihnen teilen.
Treffen der MitarbeiterInnen: Am Samstag, dem 25. November, hat sich in Vallendar der Kreis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Programms getroffen. Anliegen der regelmäßig stattfindenden Begegnung war unser Selbstverständnis, der Kern von Zen-Kontemplation, der Bindestrich zwischen der christlichen und der zen-buddhistischen geistlichen Tradition. Die Gespräche drehten sich darum, wie dieses große Anliegen von P. Johannes in die Zukunft getragen werden kann. Ist es möglich, beide Lebens-Ströme nicht als trennend, sondern als einander befruchtend, als komplementär zu sehen?!
Im Rahmen dieses Tages wurde zum ersten Mal nach dem Tod von P. Johannes Kopp 2016 gemeinsam von allen Zen-Lehrern eine Ernennung ausgesprochen: Gudrun Sommer, langjährige Assistentin und Verantwortliche des Büros ist Zen-Lehrerin mit dem Namen „Wolke des Einen Leibes“. Sie hat den in der Tradition des Sanbo-Zen vorgesehenen Koan-Weg begangen, weist eine hohe Identifikation mit dem Programm auf und begleitet bereits in der Duisburger Karmel-Gemeinde Menschen auf dem Weg der Stille.
Mit dem Namen „Wolke des Leibes“ klingt die ganze unausschöpfliche Bedeutungsfülle des Wortes an: Sorge um Einheit in Vielfalt, ein Leib werden, Brot für die Menschen… So ist sie als Zen-Lehrerin von „Leben aus der Mitte“
eine weitere Zeugin dafür, dass es einen begründeten Weg der Hoffnung gibt, dass sich die unendliche Wirklichkeit erfahren lässt, mitten in allen Veränderungen und Umbrüchen.

Ein hoher Geburtstag und der Bau-Fortschritt in Welper:
Dieser November enthielt auch einen großen Geburtstag: Marianne Krenz, langjährige Mitarbeiterin von P. Johannes und Organisations-Genius des Programms, wurde 90 Jahre alt. Als kleines Geschenk der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird es einen Ausflug mit ihr geben – nach Hattingen-Welper, dorthin, wo das neue Meditationszentrum des Bistums Essen entsteht.
Die Hoffnung trügt nicht: Dieser Raum wird nun endlich benutzungs-fertig und kann zum Tun der Stille einladen. Die gröbsten Handwerker-Arbeiten sind vollendet, jetzt geht es noch an den „Feinschliff“. So werden wir im kommenden Jahr Einzug feiern und im Rahmen unserer regelmäßigen Zazenkais dort meditieren können.

Advent 2023:
In all dem beginnt DIE Zeit der Hoffnung, der Advent, Warten auf das Kommen des Erlösers. Christinnen und Christen der ersten Jahrhunderte waren fest davon überzeugt, dass der österliche, universale Christus wiederkommt, dass er bald wiederkommt. Diese Hoffnung gab ihnen das Motiv und die Kraft dafür, „anders“ zu leben. Sie hatten einen Grund gefunden, der alle Grenzen dieses Lebens einschließt und überschreitet. Damit waren sie frei für eine neue Sicht der Wirklichkeit, frei für einen liebevollen Blick auf das nicht getrennte Ganze.

Die Übung:
Diesen Blick sich anzueignen, ihn sich schenken zu lassen – das ist ein lebenslanger Weg.
Jedes Mal, wenn ein Mensch sich setzt und sich lässt, aufgerichtet und im Atem – dann ist das nicht nur ein individuelles Geschehen.
Wir beginnen und schließen die ganze Schöpfung, alles Lebendige ein. Von der Übung der Meditation, des Sich-Setzens – so unvollkommen sie auch immer im Moment erscheinen mag – geht Frieden aus. Es ist wie ein Fluss, dessen Pegel mit jedem Regentropfen, wo immer er auch niedergeht, ansteigt. Und jeder Tropfen zählt!

Zu dieser Hoffnungs-Haltung lade ich herzlich ein jetzt im Advent. Verbinden Sie sich doch – wo immer Sie auch sind – mit den Sesshins im Dezember.

Feiern wir miteinander den 8. Dezember als Erleuchtungstag Buddhas wie auch als Tag des „reinen Ursprungs“, der „unbefleckten Empfängnis“ Mariens.

Herzlich, P. Paul

Wie auch wir vergeben

An einem der Sonntage im September hörte ich im Gottesdienst die Rede Jesu davon, dass das Reich Gottes zu vergleichen sei mit einem Menschen, der über das gesollte und zumutbare Maß hinaus zur Vergebung bereit ist – und zwar nicht wie in der Frage als Höchstmaß angenommen sieben Mal,.sondern siebenundsiebzig Mal.
Diese Worte des Sonntags-Evangeliums, in denen es wohl nicht um Zahlen, sondern um menschliche Haltung geht, wurden an diesem Sonntag in allen katholischen Kirchen weltweit gesprochen. Sie fielen hinein in die unterschiedlichsten Situationen der Menschen, die sie vernahmen. Sie fielen hinein in erlebte Erdbeben, Überschwemmungen, in Kriege und Migrations-Bewegungen, in persönliches wie auch in globales Unrecht. Gerade Letzteres wird mittlerweile vielen dringlich bewusst, die dies bisher nur aus der Ferne kannten und es weit von sich weg schoben.
Ungleichheit, Ungerechtigkeit zeigen sich in einem bisher nicht gekannten Ausmaß.
Nicht umsonst kennt die Tradition den Begriff des „mysterium iniquitatis – Geheimnis der Ungleichheit, der Ungerechtigkeit“, oft auch mit „Geheimnis des Bösen“ übersetzt.
Haben „Vergeben können“ und globales Unrecht etwas miteinander zu tun?

Sowohl das Christentum wie auch der Buddhismus wissen um die menschliche Misere in ihrer Schuld-Verstrickung. Es ist wie ein Netz, das über den Menschen gebreitet, diesen erdrückt und ihn zu einer Verkrümmung in sich selbst führt, ihn unfrei macht. Zu den Folgen gehören neben Isolation, ego-zentriertem Handeln, Gewalt, Depression, Krankheit auch die Blindheit gegenüber dem eigenen Schuld-Anteil und damit die Weigerung, sich damit auseinander zu setzen. Gerade dazu aber müssten Christen eigentlich als erste den Mut aufbringen, beten sie doch in großer Regelmäßigkeit das Vater-Unser: Vergib uns – wie auch wir vergeben.

Das erste ist die Bitte. Sie setzt voraus, dass da etwas ist, was auf Vergebung wartet -Vergebung, die ich nicht machen, nicht mir selbst geben kann. Diese Bitte, dieses Eingeständnis fällt schwer. Schwerer als die Erwartung an die Mitmenschen, sie sollten doch – bitte schön – mich um Verzeihung bitten für das, was sie mir angetan haben. Und da ist sie wieder: die Verkrümmung in mir selbst. Die Angst davor, schwach zu erscheinen, Fehler einzugestehen, nicht perfekt zu sein. Jemand muss beginnen, warum nicht ich?
Es geht ja nicht um Lappalien, es geht um nichts weniger als Befreiung zum Leben. Denn wer will, der kann in unserer Zeit sehen, was unerlöste Schuld mit einem Leben macht. Wir wissen darum, wie Lebens-Knoten und -Lasten unserer Vorfahren in unseren Genen stecken; wie nicht eingestandene „Ver-gehen“ sich bis ins Körperliche auswirken, in Krankheit, Verspannungen, Schlafproblemen und mehr noch, der Unfreiheit, ich selbst zu sein.

Das alles klingt sehr ernst. Zu ernst, fast wie in vergangenen Zeiten, als Frohbotschaft vor allem Drohbotschaft war, Glaube und schlechtes Gewissen zusammengehörten. Sich dagegen zu wehren, ist berechtigt, löst jedoch die grundsätzliche Frage nach Schuld und Vergebung nicht auf.
Kein spiritueller Weg führt daran vorbei. Und es ist kein fatales Schicksal. Im Gegenteil: Es ist eine Riesen-Chance, die es zu be- und umgreifen gilt! Als die Möglichkeit, die im pendelnden Gleichgewicht der VaterUnser-Bitte angelegt ist: zu vergeben und Vergebung zu empfangen. Das ist wie das Atmen in der Meditation: Aus und Ein, mich verschenken und mich tiefer geschenkt bekommen. Und dies nicht abgemessen, sondern maßlos, nicht sieben Mal, sondern siebenundsiebzig Mal.
Es gehört zur menschlichen Freiheit dazu, über das „Wie-du-mir, so-ich-dir“ hinaus zu gehen – sich zu geben, zu vergeben ohne den Anspruch, dass diese Gabe – jedenfalls nicht sofort und direkt – erwidert wird. Wieder der Vergleich mit dem Atem:
Je tiefer ich mich in den Atem einlasse, umso mehr bin ich dafür bereit, den Atem in mir geschehen zu lassen. Atem und Vergebung befreien. Sie entlasten. Sie öffnen unsere Welt für eine Dynamik, die sie als Medizin dringend braucht, eine wachsende Erkenntnis des Einsseins gegen alle Mauern, gegen alles, was Menschen einander vorzuwerfen haben.

Natürlich ist dieser Akt menschlicher Freiheit nicht selbstverständlich, nicht einfach. Sonst würden Menschen sich ja nicht so schwertun damit. Manchmal ist eine Aussöhnung nicht möglich, vielleicht noch nicht, vielleicht nur über die Schwelle des Todes hinweg. Aber auch dann ist die Bereitschaft zu verstehen, nicht nachzutragen, es gut sein zu lassen, wie ein Katalysator, der in die Lage versetzt, sich selbst in der eigenen Begrenztheit in den Blick zu bekommen und anzunehmen. Auch hier wieder ergänzen sich Meditation und Vergebung: Die auf dem Weg der Stille geforderte Annahme der Situation, die Annahme des Jetzt-Eigenen ist oft auch die Annahme, dass mir vergeben worden ist und vergeben wird.
Christen können hier aus der Botschaft Jesu schöpfen, die er mit seinem eigenen Leben und Sterben bezeugt hat. Der Schuldschein gegen uns wurde aufgehoben und ans Kreuz geheftet, heißt es im Brief an die Kolosser. Dann aber heißt es, dieses Geschenk anzunehmen und – umsonst, wie ich es empfangen habe – weiterzugeben. Das ist Glaube und Vertrauen. Das ist es, wenn ich mich setze und mich meinem Grund überlasse.
Wenn ein Mensch dies realisiert, dann tut er es für die Menschheit, für das Universum. Dann begibt er sich hinein in Verstrickungen, die sein eigenes Bewusstsein übersteigen. Und so wie er um Vergebung bittet für alle Menschen, so wird er in der Lage sein, auch für alle Menschen zu empfangen. Und damit bietet sich hier gerade für den Meditierenden, motiviert von der Sehnsucht nach Einssein, eine kostbare Möglichkeit: ein Dienst am gemeinsamen Überleben der Menschen in schwieriger Zeit. Zugleich ist es im Sesshin ohne Ende, im Alltag, die Herausforderung der kleinen Querelen und Konflikte, wo sich Haltung ins konkrete Tun umsetzt.

P. Paul
Reaktionen sind willkommen: paul.rheinbay@pallottiner.org

Fotos Inge Hausen-Müller

Bitte

Eigentlich gehört es ganz und gar zu unserem Mensch-Sein: das Bitten. Es ist Ausdruck der Herzensbildung und unserer Sozialnatur: Kein Mensch ist eine Insel. Alle Menschen sind ergänzungs-bedürftig, Menschen brauchen einander. Und dennoch wehrt sich oft in unserem Inneren etwas dagegen, angewiesen zu sein auf die Gabe eines anderen. Lieber ist es uns oft, wenn wir das Nötige allein „hinkriegen“, im eigenen Tun autonom, unabhängig sind. Viele ältere Menschen haben... Artikel ansehen

Neu Geboren

Diese Erfahrung und ihr Ausdruck sind bekannt – vielleicht nach einem erfrischenden Bad, einem klärenden Gespräch, einem erholsamen Urlaub, einer Fastenkur – und oft ganz intensiv nach einem mehrtägigen Verweilen in der Stille: Der Himmel sieht wie geputzt aus, das Innere ist aufgeräumt – und alle Dinge erscheinen kostbar, wie leuchtend, transparent, verbunden.Es ist dann nicht nur ein Bild „Wie neu geboren“. Es ist Realität. Etwas ist geschehen – auch,... Artikel ansehen