Aktuelle Impulse

Einführung in das Februarsesshin in Gerleve

Jedes Mal, wenn ein Sesshin beginnt wie vorhin um 19.30 Uhr mit der dreimal geschlagenen Klangschale, spüre ich eine tiefe Gefühlsbewegung in mir. Eine Mischung verschiedener Gefühle ist da aktiv. Ein Gefühl von Erwartung, manchmal gar von Spannung. Es ist keine Anspannung, sondern eher so, wie sie beispielsweise ein Fußballspieler wohl empfindet, wenn er zum Beispiel als Einwechselspieler den Rasen betritt und zu seiner Position auf dem Spielfeld läuft. Viele machen dort am Rand des Spielfelds ihre eigenen Rituale, die sie einstimmen und die ihnen Glück bringen sollen. So ähnlich empfinde ich die drei, langsam ausklingenden, Töne der Klangschale. Sie sind eine Einstimmung und eine Verheißung von etwas Kommendem, das ich nicht überblicke, auch wenn ich – ähnlich wie der Fußballspieler – grundsätzlich weiß, mit welchem Rahmen, mit welchen Aufgaben und mit welchem zeitlichen Limit ich in den kommenden Tagen zu tun habe.
Auch wenn ich nun seit mehr als 30 Jahren ein solches Einläuten eines Sesshins erlebt habe, ist es jedes Mal wieder neu. Und dies erhoffe ich auch für Euch – diesen Anfängergeist, dieses Erleben von ja, man kann sagen – kindlicher Neugier und Freude, an einem Sesshin teilzunehmen.

Wir sind hier in der Ganzheit von Geist und Körper. Bewusst benutze ich an dieser Stelle nicht das Wort Leib, weil ich jegliche Überhöhung, die oftmals mit dieser Wortwahl verbunden ist, vermeiden möchte. Nein, ich meine wirklich diesen Körper, der altert, Falten hat, Schwächen und Gebrechen zeigt, der aber die Fähigkeit besitzt, auf alles um ihn herum und in ihm verborgen in wunderbarer Weise zu reagieren, zum Beispiel all die Gefühle so auszudrücken, dass schon dadurch ohne weitere Worte Kommunikation erfolgt und wir uns als Menschen verstehen – in der Erfahrung und mit einem Erfahrungswissen von jedermann und jederfrau.

So finden wir, je mehr wir dieses Zusammenwirken von Geist und Körper achtsam zulassen und aufmerksam beobachten, hin zu diesem Weg, der der Zen-Weg genannt wird.
Ein Weg der Praxis, ganz konkret – mit Körper und Geist – in äußerlicher und innerlich vollzogener Aufrichtung.
Diese Kommunikation, wie sie gerade in einem Sesshin in den Zeiten gemeinsamen Schweigens im Zazen ebenso stattfindet, wie in den Dokusans, in den Pausen, den Spaziergängen, den Gängen zur Klosterkirche und so weiter, hat wenig gemein mit dem, womit man sich allenthalben befasst, wenn von Kommunikation die Rede ist, die verbessert werden müsse, die bestimmte Regeln beachten müsse, wenn sie funktionieren solle, jener Kommunikation, die Gegenstand von Wissenschaft und ihrer Anwendung in Unternehmen, Institutionen, Verbänden, Vereinen und Gruppen ist.
Hier im Sesshin gelten andere Regeln, nämlich die, einfach da zu sein, den Geist im Zusammenwirken mit dem Körper im natürlichen Agieren machen zu lassen, was er der persönlichen Situation und Beschaffenheit entsprechend tut. Es ist nichts gefordert, außer uns dem aufmerksam und achtsam zu überlassen und genau hin zu schauen.
Wir sind zum Vollzug aufgefordert, wie es die vier Gelöbnisse ansprechen, die wir in den nächsten Tagen rezitieren werden, und dies in der Annahme all unserer Defizite und Fehler und der Bereitschaft, uns helfen zu lassen, aus dem Kreislauf ständigen Erreichenwollens und Vergleichens herauszufinden zu einem inneren Frieden, der aus der Erkenntnis resultiert, dass es nichts zu erreichen gibt.

Allerdings: Ist das nicht anmaßend und ignorant, heutzutage, im Februar 2023, während des andauernden Krieges in der Ukraine und nach dem sich jüngst ereigneten schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien von inneren Frieden zu sprechen und uns dessen Erlangung zuzuwenden? Eine gewichtige und sehr berechtigte Frage, der wir uns stellen müssen, sie also nicht verdrängen sollten.
Ich denke, ich treffe den Gemütszustand, den viele Menschen in der jetzigen Zeit bei sich und anderen erleben, wohl ganz treffend, wenn ich von Zerrissenheit oder einem Hin- und Hergerissensein spreche. Diese neuen Wirklichkeiten zerren an uns. Sie verlangen Aufmerksamkeit und Zuwendung – und schreien förmlich nach Lösungen. Zugleich führen sie uns, ob wir wollen oder nicht, den Grundkonflikt vor Augen, in dem sich die Menschheit von Anbeginn an, mythologisch oder jüdisch/christlich-religiös gesprochen, seit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies befindet: dem Konflikt von gut und böse in der Welt – und in uns. Und überlagert von der Frage danach, wie das sein kann, dass das absolut Gute, gedacht oder geglaubt in Gott, all das zulässt an Leid, das wir tagtäglich erleben oder beobachten können.
Eine als solche nicht lösbare „Warum-Frage“!

Nur eines ist möglich, oder genauer gesagt, zweierlei ist möglich – und gefordert:
Das ehrliche und nicht beschönigende (und auch nicht dramatisierende) Hineinnehmen all des Elends in unsere Meditation als nicht zu leugnender Hintergrund oder gar Untergrund auch unseres Seins – in Spürung unserer Machtlosigkeit und Traurigkeit (auch deswegen). Wir ziehen uns also nicht zurück in einer Art Fluchtbewegung weg von alldem da draußen (genauso wenig weg von alldem in uns drinnen), sondern in dem klaren Bewusstsein unseres Eingebunden- und Verflochtenseins mit und in alldem. Das ist das eine!
Das andere ist, die Wichtigkeit einer sich dadurch ergebenden oder bestärkenden Bereitschaft für eine offene Zuwendung zur Welt. Nur durch und in diesem zweiten Schritt realisiert sich Erwachen im Sinne des Zen. Er ist Teil der Zen-Praxis.
Die Einbeziehung der komplexen phänomenalen Wirklichkeit in all ihren Facetten ist so auf zweierlei Weise integraler Bestandteil einer Zen-Praxis. Dies gibt der Versenkung im Zazen und unserem Dasein als Mensch in gerade dieser Welt den eigentlichen Sinn.
Wenn es uns gelingt, so zu üben, in Übereinstimmung und im Einklang mit dem, wie die Dinge (und wir) sind, sind Praxis und Erwachen nicht zwei.

Danke!
Klaus Fahrendorf (Cloud of merciful Awareness)

Fotos: Inge Hausen-Müller

Zuflucht

In diesen Tagen rückt ein Ort in den Mittelpunkt, der uns einlädt, dass wir dorthin unsere Zuflucht nehmen in all unseren Nöten: Bethlehem – zu Deutsch: “Das Haus des Brotes”.

Hier, ganz tief in uns, im Beginn, finden wir, wonach wir suchen:
ER ist es, der gekommen ist, um alle Lebewesen zu retten, um alle Ego-Fesseln zu lösen, um uns die Wahrheit in Liebe zu lehren und uns den Weg zu zeigen, auf dem wir eins werden mit Ihm.
So lassen sich die uns vertrauten Gelöbnisse vielleicht übertragen.

Ich wünsche uns ganz herzlich, dass wir uns verbunden wissen mit der Sehnsucht nach erfülltem Leben, die jedem Menschen innewohnt.
Das Fest der Weih-Nacht drückt diese Sehnsucht aus und will sie erfüllen – über die Grenzen von Religion, Sprache und Herkunft hinweg.    

P. Paul

Fotos Inge Hausen-Müller

Warten am Nullpunkt

Auf die Frage, was die Zukunft wohl bringen wird, antworten viele Zeitgenossen wohl nicht mit erfreulichen Erwartungen – und es scheint, dass sie dazu ja allen Grund haben. Auch die Medien überbieten sich Tag für Tag in der Dramatik der Darstellung und geben dadurch dem inneren Dramaturgen, der in jedem Menschen lauert, reichlich Stoff. Nüchterne Fakten emotional anzureichern und daraus fast schon ein Weltuntergangs-Szenario zu gestalten, dieses Talent scheint irgendwie zum Menschsein dazu zu gehören.

Natürlich sind die momentanen Ereignisse dazu angetan, im kollektiven Bewusstsein die Not vergangener Zeiten wieder lebendig werden zu lassen. Gerade bei älteren Menschen lebt die Erinnerung an selbst erlebte Kriegszeiten auf, und sie leiden darunter. Dazu kommt die Ohnmacht in der Frage, was ich jetzt tun soll, ob ich überhaupt etwas tun kann im Angesicht eines unerlösten Auseinander-Driftens, das sich bereits in vielen gesellschaftlichen Gruppierungen abzeichnet. Ist Resignation die einzige Lösung?

Der Advent verdammt nicht zum Warten: Er lädt dazu ein. Wenn wir uns in guter innerer und äußerer Haltung setzen, werden wir selbst zum Symbol des Nicht-Machens, der Erwartung. Dies kann bereits Teil einer Antwort sein, gerade wenn die Ver-zweif-lung zu siegen droht. Aber auch in der Stille ist es ja oft, als ob da vor mir eine eiserne Wand wäre, als ob ich eingezwängt wäre in ein Nicht-mehr-zurück-können und Nicht-wissen-wie-es-weitergeht. Manchmal fühlt es sich an wie ein Nullpunkt. Es ist nicht angenehm dort, eher zum Weglaufen, und doch: Warten, Aushalten lohnen. Denn gerade hier, am Nullpunkt, kann etwas Neues beginnen.

Es ist wie mit dem Atem. „Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, üben Sie das Ausatmen“, sagte mir kürzlich eine Therapeutin. Wie wunderbar – etwas üben, das mir sozusagen eingeboren ist, dem ich bisher zu wenig Aufmerksamkeit schenkte und das gegenüber dem Einatmen „zu kurz kommt“ aus Angst, der Atem könnte mir stocken! Und wenn ich wirklich einmal, ohne einzugreifen, ganz ausatme, den Atem gehen lasse, dann werde ich merken, dass da nicht sofort das Einatmen kommt, sondern eine (kleine? große?) Pause entsteht. Da ist nichts. Null. Pures Warten. 

Diese Pause passt zum Thema des Wartens. Vielleicht muss ich das „Nichts“, den „toten Punkt“, immer wieder gründlich kosten, um fähig zu werden, das zu empfangen, was ich mir nicht ausgedacht habe. Solange ich alles unter Kontrolle habe, hält sich meine Erwartung in Grenzen: Was soll ich schon bekommen, wenn ich fast alles habe? Habe ich nichts, habe ich mein eigenes Nichts gespürt, dann kann Großes an mir geschehen.

Advent und Weihnachten gründen im jüdisch-christlichen Glauben daran, dass Gott „nachtaktiv“ ist, dass er handelt, wo eigentlich nichts mehr zu erwarten ist, wo fast alle Hoffnung gestorben ist. „Mehr als die Wächter auf den Morgen wartet meine Seele auf Gott“, heißt es in einem bekannten Psalm. Und in der Christmette im Dunkel der Heiligen Nacht erklingen die Worte: „Das Volk, das im Finstern lebt, sieht ein helles Licht.“ Sowohl in den alt- wie neutestamentlichen Geschichten spielen Menschen die Hauptrolle, die auf eine rational nicht erklärbare Weise Großes erwarten vom unendlichen Gott.

Worauf also warten wir? Auf mehr als wir denken, begreifen können. Und – das Warten ist es schon. Denn darin bin ich Teil der auf Frieden, auf Erlösung wartenden, der nach Heimat ausschauenden Menschheit. In der täglichen Übung begebe ich mich immer wieder neu in die Bereitschaft, dass „es geschehen“ kann. Dass durch alle Not und alles Leid dieser Zeit eine neue Schöpfung geboren werden kann – wie ein neuer Atem, der alle und alles durchflutet.

Das wünsche ich Ihnen für die kommenden Tage – dass wir, inspiriert durch das Sitzen in der Stille, unsere Seele weit machen. Dass Platz darin ist für alle und alles, was sich am Nullpunkt weiß und sich nach Neuwerden ausstreckt. Und wenn Sie gemeinsam sitzen – zu Hause, in Ihrer Gruppe, in Zazenkais oder einem Sesshin – dann wird das gemeinsame Schweigen zu einem starken und stärkenden Zeichen des Unsagbaren, das allen zuteil werden soll.

Herzlich verbunden
P. Paul

Fotos Inge Hausen-Müller

Verantwortung übernehmen – ein Dank

Wer einmal die Stille wirklich geschmeckt hat, z.B. in einem längeren Sesshin, der mag angezogen sein durch das Wunderbare, das sich wie eine Herz-Berührung mitteilen will. Und das ist gut so. Die Erfahrung von grenzenloser Weite, von „Leere“, von unendlicher Liebe und Barmherzigkeit ist grundlegend für den Wandlungs- und Reifeweg des Menschen. Und dann? Je eindrücklicher das Erfahrene, desto gefährlicher ist die Versuchung, dabei stehen zu bleiben. „Im Absoluten hilfst... Artikel ansehen

Wir

Pfingsten ist ein Wir-Ereignis. Es geht nicht nur um die wenigen Menschen, die vor 2000 Jahren die Erfahrung von Verwandlung machen durften. Plötzlich verschwanden Angst, Verschlossenheit und Zweifel. Mut erfüllte sie, Leben in Fülle strahlten sie aus, bisher Fremdes verstanden sie nun. Jedoch: Was ihnen zuteil wurde, gilt allen zu aller Zeit, der ganzen Schöpfung. Wie ein belebender Regen, der alle und alles berührt und zum Erblühen bringen will. Was... Artikel ansehen