Ist Gott der unsichtbare Komponist und Dirigent, der in scheinbar unauflösbaren Dissonanzen alle Ereignisse der Weltgeschichte – wie menschlicher Geist sie nicht fassen kann – in eine Sinnrichtung bringt, bis Gott “alles in allem” sein wird? Je mehr ich mich in die Spannungen des interreligiösen Dialoges einlasse, um so mehr kommen mir solche und ähnliche Fragen.
Obwohl ich keine beweiskräftige Antworten geben kann, sehe ich mich in meiner Zuversicht bestärkt. Ich habe mir nicht ausgesucht, dass sich für mich der Zen-Weg eröffnet, und auch nicht, dass ich Pallottiner geworden bin. Aber ich muss staunen, wie das passt: die Sprache des Zen und die Sprache das Gründers meiner Gemeinschaft Vinzenz Pallotti. Als Yamada Kôun Roshi ein Zitat dieses Heilgen hörte: “Meine Lieblingsbeschäftigung ist es, das Alles im Nichts zu sehen”, sagte er sofort: “Das ist Kensho!”.
Ist das nicht ein Ereignis im interreligiösen Dialog, dass ein buddhistischer Zen-Meister einem christlichen Heiligen die spezifische Erfahrung des Zen-Weges zuerkennt? Ein Meister hat den Meister in den fließenden Grenzen von Zen und christlicher Mystik erkannt. Viele Texte dieses Heiligen könnten einem Zen-Erfahrenen zugeschrieben werden. Deckungsgleich mit Zen ist seine Erkenntnis und Erfahrung der Wesensnatur des Menschen.
“In der Seele ist eine Naturanlage, die sie zur unendlichen Liebe hin und von der irdischen Liebe abzieht.” (UL 13)*
“Es ist unmöglich, dass ich jemals den hohen Wert meiner Seele, die nach deinem Bild und Gleichnis erschaffen ist, zu erkennen vermag, weil es mit nie gelingt, dich zu erkennen.” (UL 8)
“So hat mich Gott erschaffen, dass ich stets mehr oder weniger in Widerspruch mit mir selber stehe und handle, wenn ich mich nicht mit der Gnade in meinem ganzen Leben so viel als möglich heilige. Denn ich bin ein lebendiges Abbild der Heiligkeit und Vollkommenheit selber.” (UL 19)
“So dürfen wir dieses Alles – Nichts – Unendlich als seine authentische Unterschrift werten”, sagt sein Biograph A. Faller (S.40) Gottebenbildlichkeit und Wesensnatur des Menschen sind für den Heiligen gleichwertig und werden in unzähligen Aussagen synonym gebraucht.
Die neueren Forschungen seiner Heiligenbiographie haben ergeben, dass Vinzenz Pallotti in jedem Menschen dieselbe Wesensnatur sieht und dass er in eines jeden Menschen Wesensnatur die Gottebenbildlichkeit bewundert und in ihr die Verpflichtung sieht, sich jedem Menschen dienend und in Liebe bis zum äußersten, in gottebenbildlicher unendlicher Liebe hinzugeben. Noch mehr als in Taufe und Firmung sieht er die Gottebenbildlichkeit als Motiv und Verpflichtung die Liebe bis zum Äußersten zu verwirklichen. So sieht er die ganze Menschheit in dieser einen und einigenden Liebe, deretwegen er jedem Menschen Speise und Trank und Arznei und jedwede Bestärkung sein will. Dieser Wesensgrund ist jedem Menschen Motiv und Recht, sich in sein eigenes Wahres Wesen in unendlichem Vertrauen einzulassen. In seinem Wesensgrund wird er nicht nur in unendlicher Liebe erwartet. Er erfährt auch ein Entgegenkommen, mehr als er selbst im Kommen sein kann.
Pater Lassalle wird genannt “Pionier des Zen für Christen”. So sehe ich in Vinzenz Pallotti den “Begründer der Zen-Praxis für Christen”. Mit seiner Erkenntnis und Erfahrung der Wesensnatur des Menschen in der Gottebenbildlichkeit, legt er den Grund frei, sich mit allen Gedanken, Sorgen und Ängsten in unendlichem Vertrauen einzulassen in diesen Grund, in dieses sein wunderbares eigenes gottgeeintes Wesen.
P. Johannes Kopp SAC
* aus: Vinzenz Pallotti, Gott, die unendliche Liebe, Friedberg 1981