Spirituelle Impulse

Faste!

Nur zu gut kennen wir aus den Sesshins die Einladung: „Hört, hört! Leben und Tod sind ernste Dinge. Schnell vergeht die Zeit. Seid wachsam!“ Fasten ist der Verzicht auf das, was uns daran hindert, dieser Einladung zu folgen, was das Sein in der Gegenwart überlagert. Christen und Muslime sind in diesem Jahr zur gleichen Zeit aufgefordert, dem Eigentlichen, dem Kern unseres Mensch-Seins wieder Raum zu geben, Platz zu schaffen. Dabei können uns die Ereignisse, die täglich unsere Aufmerksamkeit binden, helfen. Sie sind geeignet, unsere Konzepte, unsere Vorstellungen und Erwartungen zu zerbrechen. Was gestern noch Halt zu geben schien, ist heute unzuverlässig geworden oder liegt in Scherben.

Auch wenn es schwerfällt: Um nicht in Angst, Grübeleien, Zweifel und Verzweiflung zu verfallen, gilt es zurück zu treten. Fasten im Abstand-Nehmen: Das Sein-Lassen von allem, was nicht not-wendig ist, die Annahme des Jetzt ohne Wenn und Aber. Dieses Jetzt ist immer das Ganze. In der Annahme gehe ich hinaus aus dem Schwarz-Weiß-Denken, aus Freund und Feind, aus richtig und falsch, aus der Zweiheit, dem Zweifel, der Zerrissenheit. Es ist doch alles da. Jetzt. Freilich so, dass ich es nicht festhalten kann! So wie das jüdische Reinigungsbad den ganzen Menschen nach Gottes Abbild wieder regeneriert, wiederherstellt, so wäscht die Stille alles ab, womit der Mensch das Ganze, das Jetzt-Leben zugedeckt und befleckt hat. So wie ich mich niederwerfe, mich verbeuge, so hüte ich mich vor dem „Götzendienst“, bewahre mich davor, „etwas“ zu vergöttlichen, zu verabsolutieren.

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Ein weiteres bedarf der Erwähnung: herzliche Zuwendung. In allen großen spirituellen Traditionen ist Fasten verbunden mit Almosen. Nur zu nahe ist sonst die Versuchung einer spirituellen Selbstgenügsamkeit. Nur wenn das Herz gegenüber der Begrenztheit und Not, gegenüber der Ohnmacht und Ungerechtigkeit weich geworden ist, wenn es bereit geworden ist, (sich) zu geben, dann kann es sein, dass der Mensch die Dinge „recht sieht“. So ist es im Christentum die konkrete Hilfe, in der die unendliche Wirklichkeit aufscheint: Was ihr dem geringsten getan habt, das habt ihr MIR getan – heißt es in der Rede des Endzeit-Gleichnisses. Diese Gabe an den Bedürftigen kann ein gemeinsames Aushalten des Nullpunktes sein, ein solidarisch-liebevolles Einfach-Nur-Da-Sein. Und vielleicht ist es manchmal dieses „ganz unten“, aus dem sich neue Möglichkeiten des Handelns, auch des furchtlosen Widerstandes ergeben.

Wenn ich mich in die Stille begebe, dann möge es doch ein Fasten sein. Ein Ablegen von allem, was mich daran hindert, „nur“ zu sitzen und zu atmen. Ein Durchbrechen von Gedanken-Strömen und oft unbewussten Gewohnheiten, die sich in mein Leben eingeschlichen haben. Ein Hinein-Atmen in die Angst, die so bekannte Rückseite des Vertrauens. Ein Mich-Eins-Erspüren mit den vielen, die in dieser Zeit erhoffen, neu zu werden. Ein Zugehen auf Ostern.  

P. Paul

Wähle!

Was in diesen Tagen viele Menschen beschäftigt, ihnen Sorgen macht und sie herausfordert, das ist mit dem Thema „Wählen“ auch in der christlich-buddhistischen Tradition zu finden. So fordert Gott sein Volk dazu auf, sich für das Leben gegen den Tod zu entscheiden:

„Ich nehme Himmel und Erde heute über euch zu Zeugen: Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, dass du das Leben erwählst“ (5 Mose 30,19).

Mit menschlicher Freiheit ist auch die Wahl verbunden, ein Privileg und zugleich der Auftrag, es verantwortlich zu tun. Privileg: Trotz aller Vorgaben und Grenzen ist das Leben in menschliche Hand gelegt. Auftrag: Das Wie, die Einstellung, die Haltung bestimmt, was und wie wir ent-scheiden, wie wir wählen. Und dieses Wie bedarf der ständigen Pflege. Dafür sitzen wir in der Stille, dafür halten wir inne, dafür tragen wir Sorge, dass die Kräfte des Verstandes und der Intuition zusammen kommen und zusammen wirken. So sind wir Menschen von der Schöpfung her gebaut und darauf will Gott-IN-Uns, will unser wahres Wesen uns wie in einem Mahnruf aufmerksam machen. Der Blick darauf könnte erschrecken lassen; und wenn es so wäre, könnte es ein heilsames Erschrecken sein! Was die Zen-Tradition betrifft, hat Altmeister Joshu hier Wichtiges beizufügen: Er zitierte wohl gerne den im Buddhismus bekannten Satz: „Der höchste Weg ist nicht schwer, nur duldet er kein Wählen.“ So zum Beispiel im Koan 2 der Sammlung Hegikanroku. Also doch kein Wählen? Keine Freiheit? Gemeint ist hier, soweit man dies mit Worten ausdrücken kann, wohl eher das Anhaften an sich selbst, an der eigenen Meinung und Sichtweise, menschliche Borniertheit. Genau dies macht ja unfrei, im richtigen Augenblick (nicht zu spät und nicht zu früh) den rechten Schritt zu gehen. Geschieht dieser jedoch recht, aus der Mitte, im Leben aus der Mitte, so tritt der Moment der „Aus-Wahl“ zurück: Es ist, als ob es sich ergibt, es legt sich nahe, drängt mich, ich gehe und werde gegangen….

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Noch auf ein Weiteres macht das Koan aufmerksam: Der „höchste“ Weg ist nicht die Prachtstraße fernab des Alltags, sondern deutet geradewegs hin auf die vielen Wahlen, die ich jeden Tag zu treffen habe, etwas zu tun oder nicht, Zeit zu haben oder nicht… Erst diese vielen kleinen Entscheidungen befähigen dann ja auch, in derselben Haltung und in derselben Selbstverständlichkeit dort recht zu wählen, wo es um echte Zäsuren im Leben geht, in meinem und damit ja auch in dem von anderen Menschen. Einem Menschen unter Einsatz des eigenen Lebens zu Hilfe zu eilen, dies setzt voraus, dass ich vorher meine Entscheidungen so getroffen habe, dass ich jetzt dazu bereit bin.

So rufen uns beide spirituelle Traditionen zu: Wähle das Ganze, wähle das Leben! Wähle!

P. Paul

Weih-Nacht = Heil-Nacht

Verwundungen gehören zum Leben. Sie werden manchmal absichtlich zugefügt, oft aber auch unabsichtlich. Viele heilen ganz schnell wieder, andere bleiben als Narben, manchmal sichtbar, manchmal verborgen. Es gibt Verletzungen, die wir ererbt haben von unseren Vorfahren, ungelöste Fragen, Beziehungs-Knoten. An einigen tragen wir ein Leben lang.

Der Weg in die Stille kann Verwundungen zu Tage fördern, sei es in Erinnerungen, sei es in körperlich spürbaren Schmerzen. Im ruhigen Da-Sein will das Verdrängen oder Weglaufen ein Ende nehmen. Und im atmenden Vertrauen kann aus der Verletzung etwas Neues entstehen. Manchmal braucht es nur den Impuls des „Gut-sein-lassens“, manchmal braucht es neben dem stillen Hin-Halten mehr: ein Gespräch, einen Besuch, ein offenes Wort …

Weihnachten ist Zeit, heil zu werden. Aus der Krippe schaut uns im neuen Leben des Kindes unser Wesen an, ganz heil, unverletzt. Wir sind eingeladen, näher zu treten mit all den Scherben, mit allem Zerbrochenen. Vielleicht ist es erst einmal gar nicht so wichtig, wer da etwas „kaputt“ gemacht hat. Nicht selten bin ich ja an der eigenen Verletzung nicht „unschuldig“, mache ich mir das „Nicht genug“, das „Ungenügend“ des inneren Antreibers zu eigen, fälle ich das schneidende Urteil eines vorgestellten Ich-Ideals gegen mich selbst.
Wichtiger als die Schuldfrage ist, dass die Heil-Kraft unseres Innersten zugelassen wird, auf dass sie wirken kann. Damit soll keineswegs das Verhältnis von Täter und Opfer umgekehrt werden. Doch dafür, dass die Wunde in mir vernarbt, dass der gestern berechtigte Ärger und Zorn mich heute nicht mehr belastet, dass ich mir selbst genügen und mich lieben lassen kann, für all das bin ich selbst zuständig und dafür gehe ich in das tägliche Heil-Bad der Stille, des Eins-Werdens, der Versöhnung.

Mensch-Werdung ist Gabe und Aufgabe, Vertrauen und Geschenk.
In aller Geschäftigkeit, die mit den weihnachtlichen Tagen immer verbunden ist, betont die geweihte Nacht das Unvorhergesehene, nicht für möglich Gehaltene, das Licht im Dunkeln, die Freude, die einfach so hervorbricht, die unverdiente Vergebung. In einer Gesellschaft, in der wir mehr und mehr verletzten Menschen (Heimat-Verlust, Beziehungs-Leid, Krieg…) begegnen, ist es das größte Geschenk, das wir einander machen können: die Hoffnung auf Heil-Werden und den Weg dahin zu teilen – nicht in erster Linie durch Worte, sondern von Herz zu Herz. Als Menschen, die sich selbst ver-geben können und dann auch anderen vergeben, die sich befreit und erlöst glauben aus der Sklaverei des Machen-Müssens und um die segnende Kraft des Nicht-Machens wissen.

Das zu Ende gehende Jahr ist gezeichnet durch viele Umbrüche, vielleicht auch in Ihrem persönlichen Lebenskontext. Möge in uns die die Geburt des unendlich liebenden Gottes das Gebrochene verbinden, einen und heilen!

Dankbar, Gassho

P. Paul

Fotos: speysight.de

Fünf neue Assistierende Lehrerinnen und Lehrer in LEBEN AUS DER MITTE

Wir freuen uns, dass fünf „altbewährte“ TeilnehmerInnen, die durch ihre Mitarbeit ein hohes Maß an Identifikation mit unserem Programm zeigen und über viele Jahre hinweg den Koan-Weg durchlaufen haben, nun eine Lehrbefähigung erhalten konnten: Von links nach rechts:Ulrike Rögner-Fahrendorf (Bochum) mit dem Namen „Wolke der leuchtenden Dunkelheit“Prof. Dr. Johannes Michalak (Bochum) mit dem Namen „Wolke der grenzenlosen Gegenwart“Dr. Astrid Heidemann (Freiburg / Wuppertal) mit dem Namen „Wolke des großen Weges“Petra... Artikel ansehen

Vor 60 Jahren in Berlin …

… gab es eine großes Aufsehen erregende Rede von Martin Luther King, der auf Einladung des damaligen Bürgermeisters Willy Brandt in die Stadt gekommen war. Sowohl im Westen wie auch im davon getrennten Ostteil Berlins predigte er gegen Rassentrennung und Mauern, gegen politische Ideologien, die Menschen einteilen in mehr- und minderwertig. Bei seinem überraschenden Aufenthalt in Ost-Berlin – die amerikanische Besatzung wollte eigentlich seinen Besuch dort verhindern und hatte ihm... Artikel ansehen