Auf dem Weg zum wahren Wesen gilt es, immer wieder die Perspektive zu wechseln. Zu einer solchen „Umkehr“ lädt Jesus ein, wenn er sagt: „Selig, die Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.“ Die Seligpreisungen haben in der katholischen Liturgie ihren festen Platz an Allerheiligen, am ersten November. Sie gelten allesamt nicht den Reichen und Mächtigen, den Königen und Kaisern – sie richten sich an Menschen auf der Schattenseite des Lebens; an jene, die von anderen gerne belächelt und als naiv abgestempelt werden.
Was ist hier mit Armut gemeint und was heißt dies für den Weg der Stille, für das Leben aus der Mitte? Es geht um mehr als nur um materielle Besitzlosigkeit. Schon in der frühen Kirche, also vor über 1700 Jahren, sann man darüber nach, wer denn der „wahre Arme“ sei, den Jesus selig preist. Bereits damals kam das Wie des Lebens, die Einstellung, die Ge-lassen-heit ins Spiel, die sich lösende Freiheit von dem, was den Menschen bindet. Damit ist Armut ein bewusster Verzicht auf Vorstellungen, Pläne, Emotionen und Urteile, die uns oft den Blick verstellen auf das unendliche Potential, das dem Menschen in jedem Augenblick seines Lebens zur Verfügung steht.
Ich löse mich von Einstellungen und Erwartungen, die zu Leid führen, bei mir und bei anderen, von „dukkha“, geboren oft aus Unsicherheit, Unzufriedenheit und Angst gegenüber den gegebenen Umständen und der vergebliche Suche, diesen zu entfliehen. Ich löse mich in dem Bewusstsein, dass dieser illusorische „Reichtum“ zu nichts führt. Ich löse mich und lasse mich (er)lösen in der Praxis stillen, empfänglichen Sitzens – einer Praxis, die mit dem Erklingen des Schluss-Gongs nicht aufhört, sondern ins Tun hinein ausstrahlt. Ich löse mich in dem geduldigen Aushalten, dass in mir Schicht für Schicht abgetragen werden, spiralförmig, nicht linear. Die innere Dynamik ist wesentlich langsamer als die vorgestellte Wunsch-Geschwindigkeit auf dem Weg. Wer ihn geht, diesen Weg, verarmt in gutem Sinne, hat nichts mehr, um sich festzuhalten und anzuklammern. Warum ist diese Art von Armut so wichtig?
Noch einmal wird uns ein Perspektivwechsel zugemutet: Es geht nicht um das Individuum. Es geht um eine Dynamik der Gottes-Wirklichkeit, in die hinein die Menschheit eingeladen ist. Und unsere Armut ist so etwas wie die Eintrittskarte. Näher hingeschaut: Gott zeigt sich, manifestiert sich, gibt sich, ist kreativ, verschwendet sich, ist gegenwärtig im Wirken des Geistes. Und das nicht nur einmal, etwa in Jesus Christus. Er gibt sich in jeder Kreatur und lädt ein, sich „einzuschwingen“ in das schöpferische Tun des Geistes, der ja bekanntlich alles neu macht. Einschwingen bedeutet hier: ganz und gar Teil zu werden eines liebevollen „Stirb und Werde“, in dem alles neu Geborene sich wieder verschenkt, sich gibt, stirbt, um „auferstehen“ zu können. Und auf einmal bekommt meine Armut eine globale Dimension. Sie befähigt mich dazu, mitzuwirken an der spirituellen Evolution unserer Welt, indem ich grenzenlos empfange. Je gründlicher ich arm bin, desto mehr kann mir gegeben werden. Empfangen und geben sind hier eins: Ohne das, was mir gegeben ist, festzuhalten, kann ich es weiter geben, kann ich mich darin weiter geben, kann ich mich verlieren.
Diese Armut entspricht der im Zen bekannten „Person ohne Status“, die nichts aus sich macht, weil sie, richtig verstanden, nichts ist. In solchem Empfangen und Geben, Ein- und Ausatmen nimmt der Mensch Teil am Wesen Gottes, realisiert er sein Eins-Sein mit der ganzen Schöpfung.
Damit uns Menschen dieses Potential bewusst wird, braucht es Stille und dazu oft Situationen radikalen Arm- und Angewiesen-Seins, ob Unfall oder Krankheit, „nicht erbetene“ Überraschungen des Lebens, verbunden mit der Frage: „Nimmst du es an?“ Wenn ich dann dem Impuls folge, nicht verdränge und mich nicht dagegen wehre, wenn ich es als Teil der Pädagogik des inneren Meisters sehe, dann kann eine Tür aufgehen. Dann steht auf einmal der Arme mitten in der Schatzkammer des Lebens, in der nichts fehlt.
Es kann aber auch der ganz gewöhnliche, „trockene“, unspektakuläre Alltag sein: mich von dem, was ansteht, an die Hand nehmen lassen und vielleicht gerade im scheinbar Bekannten, tausendmal Gemachten und Gesehenen das Licht finden, das immer da ist. Es ist der kleine Weg des nicht Besonderen, ohne emotionale Höhenflüge, ohne elitäres Gehabe und doch mit einem großen Frieden, der ausgeht von der Aufmerksamkeit und Wertschätzung des Jetzt.
„Selig die Armen“ – Jesus hat sich selbst seliggepriesen. Er hat alles gegeben, was er hatte und alles, was er war, bis zur Feindesliebe, bis in den Verbrecher-Tod. Und auch seine Gegenwart als Auferstandener weiß nichts von Reichtum und Macht: sie wirkt im Modus des Angebots, der Freiheit, sie ist wehrlos gegen Verweigerung. Da jedoch, wo ein Mensch auf dieses großherzige Angebot seines Lebens in großherziger Freiheit und Liebe antwortet, da leuchtet mitten in der Armut des Nicht-Wissens und Nicht-Vermögens eine nie gekannte Lebenskraft auf, da zeigen sich ungeahnte Möglichkeiten, unsere Welt hinein zu holen in die schon begonnene neue Schöpfung.
So von Armut zu reden, das setzt natürlich dem Missverständnis aus, als ob es egal wäre, wie viel ein Mensch an Gütern anhäuft, wie wenig ein Mensch über das verfügen kann, was er Tag für Tag braucht. Zen-Mönche waren diesem Vorwurf nicht ausgesetzt: Sie galten als freiwillig Arme, ähnlich wie die Bettelorden christlicher Tradition, und waren ein fester Teil der Gesellschaft. Aber auch ohne Mönch zu werden: Wie kann jemand lange Zeiten im Schweigen, im (er)lösenden Atmen verbringen und dann nicht bereit sein zu teilen, was er hat?
Legendär geworden ist die Armut und Einfachheit im Lebensstil von P. Lassalle. Am 2. November, Allerseelen, gedenken wir beim Zazenkai seiner und all derer, die uns auf dem Weg vorangegangen sind. Die von ihnen ausgehende Inspiration ist wie ein Wind, wie ein Feuer, das in Verantwortung ruft.
Herzlich, P. Paul
PS und zum Reformationstag:
„Wir sind Bettler“, das sind die letzten schriftlich überlieferten Worte Martin Luthers.
Der 6. August ist und bleibt für das Programm „Leben aus der Mitte“ ein wichtiger Jahrestag. Vor nunmehr 80 Jahren tötete und verletzte die Atombombe in Hiroshima mehrere Hunderttausend Menschen. Yamada Roshi und P. Lassalle, die beide mit den Anfängen des Meditationsprogramms verbunden sind, trugen fortan dieses Erleben in ihrem Körper und ihrem Geist. Immer wieder erinnerte P. Johannes Kopp, der Gründer des Programms, dass auch bei ihm das Erleben der Schrecken und der Verzweiflung im zweiten Weltkrieg zu der brennenden Suche nach einem neuen Bewusstsein für den Frieden geführt hat. Er stellte dabei die Verbindung her zur Feier der „Verklärung“ Christi, die nach dem Kalender der katholischen Kirche auf denselben Tag, den 6. August, fällt. Und so wird auf dem Altarkreuz der durch die Initiative von P. Lassalle erbauten Weltfriedenskirche das gleißende Licht der Bombe gewandelt zum Lichtglanz, in dem die Jünger auf dem Berge Tabor sich in der Einheit mit Jesus Christus erleben.
Was bedeutet diese ErINNERung in unserer Zeit, in der militärische Konflikte mehr und mehr als unausweichlich gelten und auch Europa nach einer langen Friedenszeit auf den nächsten Krieg „eingeschworen“ wird? In der wieder leichtsinnig mit Atomwaffen gedroht wird? In der Milliarden anstatt für Medizin und Hungerbekämpfung in die Auf- und Hochrüstung gesteckt werden? In der, um dies zu realisieren, immense Schulden aufgenommen werden, die von kommenden Generationen zu schultern sind?
Oremus pro pace mundi – beten wir für den Frieden in der Welt, so steht es auf der Grab-Plakette von P. Lassalle. Ich möchte gerne das „beten wir“ herausholen aus dem zu engen Raum gesprochener Gebete. Es geht um mehr, es geht um die Weise, wie wir leben. Es geht um die Wirklichkeit, dass der Mensch in seinem Wesen ein Potential zum Frieden trägt, das unerschöpflich ist und das darauf wartet, realisiert zu werden; ein Schatz, der gehoben werden will. Und so könnte die Aufforderung lauten: Meditieren wir für den Frieden, atmen wir, gehen wir, denken und sprechen wir, arbeiten und ruhen wir, beten und vertrauen wir, lachen und weinen wir, leben und leiden wir….. für den Frieden in der Welt.
So wie jeder Mensch diese Wesens-Kern-Energie zur Versöhnung der Gegensätze in sich trägt, so dürfen sich Zen-Christen in besonderer Weise angesprochen wissen. Der buddhistische Zen-Meister Yamada war bereits in den 60er/70er Jahren des letzten Jahrhunderts offen dafür, dass Europäer und Christen authentisches Zen üben, und das war in diesen Jahren keineswegs eine Selbstverständlichkeit! In der Begegnung mit seinen SchülerInnen im Dokusan sprach er von der Vision, dass die Religionen im Miteinander einen Beitrag leisten können für den Frieden. Dies geschieht, wenn Religiosität, Gottes-Verbundenheit und Gottes-Liebe zur Hin-Gabe wird, Pro-Existenz, zum Leben FÜR die Menschen.
Kein Mensch weiß, wie viel Gutes, Versöhnendes dort geschieht, wo jemand an diese Kraft in sich selbst glaubt, an dieser „Schraube“ in sich dreht, die Situationen seines Lebens dazu nutzt, die Quelle in sich fließen zu lassen. Im Unendlichen – und der Mensch ist Unendlichkeitswesen! – gilt nicht der kleine Maßstab dessen, was wir für möglich erachten, was wir sehen und als Erfolg bewerten. Oft sind es Einzelne gewesen, welche unter Einsatz ihres Lebens Türen geöffnet haben, durch die dann unzählig viele gegangen sind. Wenn wir uns in der Meditation versenken, unser kleines Ego vergessen, dann schimmert vielleicht ein Licht davon auf, dass der Friede in uns sich mitteilen will und sich mitteilt. Ganz gewiss.
Wir begleiten Sie in die Stille – heißt es auf unserer Homepage, die im Laufe dieses Jahres ein neues Gewand bekommen soll. Viele Menschen haben Angst vor der Stille, dem Nicht-Lauten; vielleicht, weil sie intuitiv wissen, dass sie darin mit Altlasten des Lebens, mit Ressentiments, Vorwürfen, Anklagen und Verletzungen konfrontiert werden. All dies lässt sich ja nicht einfach „weg-schweigen“.
Gleichzeitig gilt: Wir sind dem gegenüber nicht machtlos! Es ist wie mit körperlichen Schmerzen. Ich brauche den Mut, mich ihnen liebevoll zuzuwenden und, das ist in der Stille eine wunderbare Möglichkeit, hinein zu atmen. Oftmals verändert sich dadurch schon etwas: Auch wenn vielleicht der Schmerz nicht weg ist, verliert er seinen aggressiven, mir entgegen stehenden und damit „störenden“ Charakter. Der Atem ist eine Kraft, ist Balsam, ist Veränderungs-Potential. Es ist gut, sich dies einmal wieder neu in Erinnerung zu rufen, gerade jetzt im Vorfeld von Pfingsten, der Feier des Atem-Geistes Gottes in uns.
Der Atem ist Gabe: Darin empfängt sich und gibt sich der Mensch. Von Gabe und Geben weiß auch das schöne Wort „Ver-Gebung“. Das lateinische Wort für „Gabe“ = „Donum“ steckt auch im französischen „Pardon“ genau wie im englischen „forgive“ und im italienischen „perdono“. Im Verzeihen gibt sich der Mensch, gibt sich hinein in das Leben, löst entstandene, Schmerzen verursachende Spannungen und Knoten auf. Die Autorität dazu ist schlicht und einfach durch das Mensch-Sein gegeben: sich selbst und anderen zu vergeben ist eine reale Möglichkeit, zunächst einmal unabhängig davon, ob ein Mit-Mensch dies annimmt, erwidert oder nicht.
Der auferstandene Jesus Christus haucht (nach Johannes Kapitel 20) seine Jünger an und trägt ihnen auf, dass sie Schuld vergeben, lösen, befreien sollen. Ich verstehe als Adressaten dieses Auftrags nicht nur die kirchlichen Amtsträger, ich verstehe diesen Auftrag an jeden Christen und darüber hinaus gerichtet. Wie viel Gutes kann geschehen, wenn Meditierende sich dieser „Sendung“ bewusst sind und anfangen, die eigenen Verletzungen anzuschauen und zu vergeben: angefangen mit der Vergebung bei sich selbst bis hin zu den Mitmenschen, die vielleicht aus dem eigenen Lebenshorizont verdrängt wurden, weil (manchmal ur-alte) Vorwürfe im Raum des Bewusstseins stehen geblieben sind.
Mit diesen Menschen eins zu werden ist vielleicht schwerer, als das nächste Koan zu lösen. Gleichzeitig ist oft die Konsequenz, dass das Sitzen tiefer und friedvoller wird, der Blick klarer. Und vielleicht ist damit auch der Grundstein dafür gelegt, dass es irgendwann zu einem Gespräch, einer Begegnung kommen kann, die das Geschehene noch einmal in ein neues Licht rückt.
Keinesfalls möchte ich durch diese Zeilen leugnen oder verharmlosen, was wir Menschen einander antun, welche Verletzungen wir uns zufügen können. Und manchmal wird es auch fachlicher Hilfe bedürfen, daran zu arbeiten. Das Sitzen in der Stille setzt jedenfalls Kräfte frei, in eigener Vollmacht aus der Opferrolle hinauszugehen. Denn es kann nicht zur menschlichen Bestimmung gehören, ein Leben lang von in der Vergangenheit Geschehenem sich blockieren zu lassen; sich beeindrucken zu lassen von den inneren Stimmen, die immer wieder Urteile fällen, über andere und über mich selbst.
Diese Urteile loszulassen – das ist ein Ver-Geben, ein Sich-Geben, ein Lassen und Annehmen im Atem. Es ist Geschenk und zugleich menschliche Möglichkeit, es zuzulassen. Dass dies geschehen möge, wünsche ich uns herzlich – gerade jetzt in der Zeit, da an den kommenden Feiertagen wieder viele von uns sich dem Schweigen überlassen werden: Christ Himmelfahrt und Fronleichnam in Meschede, Pfingsten in Rom und Vallendar sind wir verbunden.
….und euer neues Leben ist mit Christus verborgen in Gott. Was ist gemeint, wenn sich dieser biblische Text aus dem Brief an die Gemeinde in Kolossä (Kleinasien / Phrygien) offensichtlich an Menschen richtet, die sich ihres Lebens freuen? „Sterben“ soll hier an die Taufe erinnern, deren Ritus des Ein- und Auftauchens ein sprechendes Symbol für menschliche Transformation, für Neu-Werden ist. Die Taufe wurde am Anfang der Christenheit an Ostern gespendet.... Artikel ansehen
Nur zu gut kennen wir aus den Sesshins die Einladung: „Hört, hört! Leben und Tod sind ernste Dinge. Schnell vergeht die Zeit. Seid wachsam!“ Fasten ist der Verzicht auf das, was uns daran hindert, dieser Einladung zu folgen, was das Sein in der Gegenwart überlagert. Christen und Muslime sind in diesem Jahr zur gleichen Zeit aufgefordert, dem Eigentlichen, dem Kern unseres Mensch-Seins wieder Raum zu geben, Platz zu schaffen. Dabei... Artikel ansehen
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