Der Narr

Haben Sie herzhaft gelacht – oder vielleicht auch nur geschmunzelt – in den vergangenen Tagen der Fastnacht, weil der Narr im Fernsehen oder auf der Sitzung Ihnen selbst den Spiegel vorgehalten hat?
Er darf es ja – nicht nur in dieser Zeit.
Jenseits aller gesellschaftlichen Konventionen, oft kunstvoll in Sprache gestaltet und verschlüsselt, spricht er aus, was viele denken und sich nicht zu sagen wagen.
Bei den Großen und Mächtigen der Erde, Königen und Kaisern, war es über Jahrhunderte üblich, dass ein Narr am Hof ihnen auch Unliebsames flüstern, sie kritisieren, ihnen bei aller Lebenspracht die Begrenztheit des Lebens in Erinnerung rufen durfte.

Sind wir Meditierende nicht auch Narren?
Wir lassen uns ein in die Stille, geben die Fixierung auf Gedanken, Pläne, Ansichten auf, öffnen uns für eine neue Perspektive auf uns selbst und die Dinge.

Wie die Botschaft des Narren, so rüttelt die Stille an festsitzenden Hirngespinsten und führt uns hin zu der grundsätzlichsten aller Fragen: Wer bin ich?
Und so manches Mal taucht im Inneren – neben dem Ärger über die Gedankenflut – ein staunendes Lächeln darüber auf, wie viel doch los ist im eigenen „Theater“.
So ist und bleibt die Stille ein Reinigungsbad, dem kein Mensch entwächst. Nie sind wir „fertig“, immer bedürftig.

Im Koan 12 aus der Mumonkan-Sammlung ruft sich Meister Zuigan selbst „Meister!“ und antwortet: „Ja!“.
Und er ruft erneut: „Ganz wach! Ganz wach!“ Und antwortet: „Ja! Ja!“ – „Lass dich nicht von anderen täuschen, an keinem Tag, zu keiner Zeit!“ – „Nein! Nein!“
Im Kommentar wird der mit sich selbst sprechende Zuigan, wohl absichtlich irritierend, ein Puppenspieler genannt. Es ist ja wirklich eine Frage: Wer ruft hier wem zu? Warum hat Zuigan es nötig, sich an seine eigene Meisterschaft zu erinnern? Und dazu noch in Verbindung mit dem Aufruf, wachsam zu sein, sich nicht täuschen zu lassen, niemals und von niemand?
Wozu diese Dramatik? Oder besteht vielleicht die wahre Meisterschaft darin, immer mehr hineinzuwachsen in die eigene Zerbrechlichkeit und Versuchbarkeit, in das eigene Begrenzt-Sein, Asche-Sein? Alles zu lassen, was als gemachtes Selbstbild der Stärke dem Unendlichen und seiner Kraft im Wege steht? Ein Narr der unendlichen Liebe zu werden?

P. Johannes schreibt in seinem letzten großen Werk „Gebet als Selbstgespräch“ dazu: „Die Anrufung ‘Meister’ ist keine Routine – wohlbekannt. Er (Meister Zuigan) ruft die unendliche Wirklichkeit damit an in sich, jedes Mal ganz neu. Jedes Mal in Erschütterung als einer mit Purpurlinien im Gesicht, weil in der Erschütterung die Tränen fließen, immer wieder, niemals traulich gewohnt. In christlicher Weise ist es die Anrufung des unendlichen Gottes in sich.
Diese Worte können nun gesagt sein als fromme Erwägung. In Berührung mit der Wirklichkeit können sie wirken wie eine Berührung mit einer Starkstromleitung.
„Und er antwortet ‘Ja’. – Sein ‘Ja’ ist nicht nur eine Weise der Akzeptanz, sondern eine Berührung mit dem Starkstrom – in christlicher Sprache etwa: ‘Mein Gott, meine Liebe, mein Alles. Du bist ganz mein und ich ganz dein.’ – ‘Du in mir, ich in Dir, lass uns so eins bleiben.’
Meister Zuigan weiß, er hat diesen Zustand nicht gesichert, nicht als festen Besitz. Der Widersacher ist der genialste Psychologe: Er kennt bei jedem, wirklich bei jedem die Schwachstelle. Zuigan, der Meister, weiß das. Wüsste er es nicht, wäre er nicht der Meister.“ (S. 87f.)

Möge der befreiende Weckruf – tiefster Sinn der „Fastenzeit“ auf Ostern hin – unsere Ohren und Herzen erreichen!
P. Paul


Fotos: Inge Hausen-Müller