Daheim
„Bleiben Sie daheim!“
Das haben wir in den vergangenen Monaten oft gehört. Eigentlich ist das eine wertvolle Aufforderung, denn mit unserem Zuhause verbinden wir normalerweise gute Dinge wie Geborgenheit, Vertrauen, Angenommensein, Schutz, Sich-Wohlfühlen.
Diesmal klingt diese Aufforderung jedoch anders. Aus Furcht vor Ansteckung sollen wir uns vereinzeln, und wir werden vertrieben aus dem, was uns jenseits unserer vertrauten vier Wände das Gefühl für Heimat vermittelt: aus der Wärme mitmenschlicher Begegnung und Nähe.
Zurückgeworfen auf sich selbst, drehen viele Menschen sich nur noch im eigenen Kreis und klammern sich an den Strohhalm ihres Lebensstandards, während in räumlicher Nähe andere um ihre nackte Existenz kämpfen müssen. Gemeinsam aber leiden sie unter Isolation und Einsamkeit.
Weihnachten beginnt mit einer Fluchtgeschichte. Die Eltern Jesu sind nicht in ihrem gewohnten Zuhause. Unterwegs und obdachlos, so naht die Stunde der Geburt. Nichts von Romantik und ersehnter Harmonie. Draußen – im Stall – geschieht sie, so wie am Ende des irdischen Lebens Jesu das Kreuz auch draußen vor der Stadt errichtet sein wird.
Die unwirtliche Umgebung der Fremde wird zur Geburtsgrotte des Neuen. Himmel und Erde verbünden sich an dem Ort, an den niemand freiwillig hingeht, um zu bleiben – dort, wo niemand ein Zuhause vermutet.
Und doch leuchtet ausgerechnet von hier aus das Licht, das in die Herzen aller dringen will.
Weihnacht 2020: So wie in diesem Jahr haben wir noch nie gefeiert. Draußen, weil die Innenräume zu riskant sind. Draußen auch, was unsere liebgewordenen Traditionen und Gewohnheiten betrifft.
Kann dieses „Draußen“ zu einem neuen Daheim werden? Ein Zuhause, das die sonst oft so engen Wände unseres Selbst öffnet in die Haltung des Erbarmens, der Verbundenheit?
„Stets wohne im großen Erbarmen“ – das ist eine bekannte Zen-Mahnung.
Zuhausesein ist mehr als Wohnen in der Behaglichkeit der eigenen vier Wände. Auf einmal müssen wir jenseits dessen auch ein Zuhause suchen in der ungemütlichen Mischung aus Unsicherheit, Furcht, Trauer, Hoffnung …
Vielleicht sind wir so der Gottesgeburt in uns näher als sonst. Sie geschieht an Orten und in Zeiten, da wir es nicht vermuten und wo wir sie nicht für möglich halten. Herausgeworfen aus dem, was unsere Gedanken und Erfahrungen als unser Selbst gebaut haben, entdecken wir ein neues Daheim: den Moment, in dem ich mich geliebt weiß und Liebe verschenke. In dieser Haltung bin ich eins mit dem neugeborenen Kind.
Das kann überall geschehen – auf der Straße, in der Begegnung, in der Stille, in ausweglos erscheinender Situation, im Angewiesensein auf Hilfe. Da, wo ich mich umfangen spüre von der größeren Liebe und mit weit offenem Herz diese Liebe erwidere. Wenn es geschieht, dann bin ich zu Hause, angekommen. „Der Kuckuck ruft uns nach Hause.“
Mit wem auch immer Sie in diesem Jahr feiern, sich (tele-) begegnen oder in der Stille verbunden sind – ich wünsche Ihnen Jetzt-Momente eines solchen Nachhausekommens.
P. Paul