Unfehlbar

Sind Sie unfehlbar? So zu fragen, ist schon fast eine Beleidigung. Wer würde sich schon hinstellen und sagen: Ich bin unfehlbar?
Und doch! In einer Hinsicht sind wir unfehlbar.

Bevor ich zur Sache komme, erlauben Sie mir die Frage: Haben Sie Schmerzen beim Atmen? Nein? Aber Sie wissen, dass im Moment Millionen Menschen das Atmen schmerzt und dass sie in Hoffnung auf Heilung ihr Vermögen geben. Wenn Sie im Moment schmerzlos atmen, kann man doch wohl sagen: Nicht selbstverständlich und Grund zum Dank.

Da sind wir auch schon bei dem, in dem wir unfehlbar sind: Wir haben – immer mehr als uns bewusst sein kann – Grund zum Dank.

Foto: Rainer Schmidt

Foto: Rainer Schmidt

Indem wir den Aktionskreis der Dankbarkeit erweitern und begreifen: Nichts ist selbstverständlich, gehen wir auch aufmerksamer durch den Tag. Da wir Internet zur Verfügung haben, gehören wir zur Wohlstands- gesellschaft und haben selbstverständlich schon gefrühstückt. Millionen Menschen aber wünschen im Moment nichts mehr als eine Schale Reis oder ein Stück Brot. Uns ist der Tisch gedeckt.

Im scheinbar Selbstverständlichen sind wir allerdings oft freudlose Langweiler und dabei auch unzufrieden, lassen manche Freundlichkeit unerwidert und versäumen nicht selten, Freude zu machen, wozu wir leicht Gelegenheit hätten.

Zu fragen, was Grund zum Danken sein könnte, wäre schon ein Tagesprogramm. Wenn wir so allen Ernstes fragen, finden wir manchen Grund zum Dank in alltäglichen Dingen.

“Die Dinge sind konserviert in tödlicher Selbstverständlichkeit”, las ich bei Reinhold Schneider. Je mehr wir danken, desto mehr lösen wir uns aus dem Kokon der tödlichen Selbstverständlichkeit und werden hellsichtig für die Dinge um uns und: In uns!

Wäre es nicht reizvoll – vielleicht für einen Monat – sich mit erhöhter Aufmerksamkeit zu üben im Danken? So können wir der göttlichen Pädagogik auf die Schliche kommen. Wir sehen rückblickend, dass vieles, das uns den Weg verstellte, zu einer Stufe wurde, die wir zur besseren Einsicht überschreiten mussten.

Foto: Inge Hausen-Müller

Foto: Inge Hausen-Müller

Es gibt einen Ego-Dank und einen Wesens-Dank.
Im Ego-Dank danken wir für das, was uns passt. Im Wesens-Dank danken wir auch für Dinge, die wir nicht verstehen, und sind begnadet zur Annahme des scheinbar Unannehmbaren. “Käme der Mensch nicht ohnedies in Situationen, die ihm unannehmbar erscheinen, man müsste sie ihm künstlich stellen, denn eben diese Annahme gibt ihm die Chance für den Durchbruch zum Wesen”, sagte mein verehrter Lehrer, Graf Dürckheim, nachdem er kurz zuvor seine Blindheit erleben musste. Kraft eigener Erfahrung konnte er vielen Menschen in Lebenskrisen zur Annahme von Misserfolg und Krankheit verhelfen. Den größten Heilerfolg sah er bei denen, die in der Annahme des scheinbar Unannehmbaren einen Grund zu tiefster Dankbarkeit fanden.

In der Dankbarkeit findet ein Mensch auch oder gerade in Krankheit zu seiner Wesens-Gesundheit und zu einer Strahlung, wie ich sie bei Pater Lassalle in seiner Krankheit und auch in seinem Sterben wahrnehmen konnte.

Dankbarkeit ist wesensgemäßer Gebrauch der Freiheit, Höchstform der Annahme, eine geistige Großmacht, die jede Situation verwandelt. So sagen und bezeugen es die Erfahrenen.

Empfehlung: Augen zu und blindlings danken. Mehrmals täglich. Medizin mit heilenden Nebenwirkungen, unfehlbar.

Foto: Rainer Schmidt

Foto: Rainer Schmidt

Im Monat November zeigt die Natur in Farbenpracht und mit jedem Blatt, das sich so leicht vom Baume löst, für unseren Weg und unser Selbstverständnis auch die letzte Stufe. Und wenn wir dann im Rückblick und Vorblick für alles danken, dann erkennen wir, dass wir zwar in vielem gefehlt und geirrt haben, aber in einem Unfehlbares tun und sehen konnten:
Im Danken.

Danke! Wofür? Danken braucht kein Wofür. Danken selbst ist Grund zum Danken

Danke!

P. Johannes