Leben im steten Beginn
Meine vorwiegende Kurstätigkeit in Leben aus der Mitte schließt nicht aus, dass ich bisweilen auch von katholischen Priestern für Tagungen oder Exerzitien gefragt bin. In einem solchen, eben beendeten Kurs kamen wir zu einer Ergriffenheit – nicht geringer als in einem Kurs der Zen-Kontemplation.
Das Thema war eine Gebetsintention: “Dass wir in der Feier der Eucharistie eine Orientierung erlangen, wonach alle unsere Handlungen Beginn und Erfüllung in Christus finden.” Ich gestehe, dass mich die mehrtägige Vertiefung in dieses Thema mit zwanzig Priestern in Besinnung, Gebet und Eucharistie nachhaltig berührt und ergriffen hat. Das Grundthema war: “Leben im steten Beginn”. Eröffnen sich auch älteren Menschen Möglichkeiten, wonach sie in allen Handlungen Beginn und Erfüllungfinden?
Es gab in diesen Tagen erregende Momente, denn entsprechend ihrer Lebensentscheidung konnte den Priestern eine Orientierung in Christus nicht fremd sein. Aber darin steten Beginn und Erfüllungzu finden, ob dies als konkrete und einladende Möglichkeit gesehen und angenommen werden könnte, war für mich in der Vorbereitung eine Frage, in der ich mich nur in Furcht und Zittern an das Thema wagte. Es geschahen dann keine Wunder, aber wir fühlten uns berührt, und im Schluss- gespräch haben wir einander versprochen, eine Woche lang im Gebet aneinander zu denken, um im Alltag eine Atmosphäre Beginn und Erfüllung erreichen und erhalten zu können.
Nun werden wohl die wenigsten Leser eine Möglichkeit zu Beginn und Erfüllung in der Feier der Eucharistie erkennen. Aber auf dem Weg der Zen-Kontemplation ist die Frucht der Übung nichts anderes als Beginn und Erfüllung. Der Zen-Weg ist per Definitionem ein Beginn-Weg. Der Weg ist nicht Fort-Schritt, sondern Hin-Schritt zum steten Beginn.
Man wird deswegen älter, damit man mit sich selbst immer mehr etwas anfangen kann. In der wachsenden Bereit- schaft, Minderungen körperlicher und gesundheitlicher Art anzunehmen, mehren sich in uns die höchsten Lebens- werte der Reifung, auf die hin das Leben angelegt ist. Mit der Annahme einer Krankheit – selbstverständlich mit Wahrnehmung aller Möglichkeiten zur Heilung – kommen wir zu einer wesensgemäßen Gesundheit. Und schließlich ist die Annahme des in unserem Leben einprogrammierten Todes die Annahme unseres Lebensprogramms.
Damit wird die Annahme der Tatsache unseres Todes die äußerste Möglichkeit, Ja zu sagen zu dem uns zugedachten Leben. Zu einer Erfahrung unserer eigenen Wesensnatur kommen wir nur mit der Annahme unserer Wirklichkeit, die mit dem Tod nicht endet. Das ist es, was auf dem Weg der Zen-Kontemplation mehr und mehr zu der Erfahrung hinführt, in der Selbstfindung und Gottfindung wie zwei Flammen sich immer mehr in einem finden. Immer mehr – mehr und mehr im großen und steten Beginn.
“Der Mensch schreitet von einem Anfang zu einem neuen Anfang, ehe er zu dem Anfang kommt, der kein Ende hat.” (Gregor von Nyssa)
Wir sollen uns in jeder Lebenslage berauschen an dieser wunderbaren Möglichkeit zum steten Beginn.
P. Johannes