Kreuz und Widerstand

Der preisgekrönte aktuelle Film “Zone of Interest erzählt das Leben des Lagerkommandanten Rudolf Höß und seiner Familie in unmittelbarer Nähe zum Konzentrationslager Auschwitz.
Ihr nahezu normales ziviles Leben in komfortabler Umgebung steht in erschreckendem Kontrast zu den aus dem Lager kommenden Schreien und dem Geräusch der Menschentransport-Züge, das den ganzen Film untermalt. An all das hatten die Bewohner der Villa sich offenbar gewöhnt.
Gewöhnung ist ein langsam wirkendes Gift. Es lähmt.

An Ostern sprechen wir von Aufstehen, von Auferstehung. Nicht nur von der Auferstehung des Einen, Jesus Christus. Wir sprechen von der Auferstehung aller, die sich auf seinen Weg einlassen. Wir sprechen vom Aufstehen gegen den Tod, gegen die Gewöhnung an das Unrecht, vom Widerstand gegen Gewalt, Resignation, Hunger, Verzweiflung.

Ostern: Bevor die Evangelien über die Auferstehung berichten, sprechen sie sehr ausführlich von der Passion, dem Leidensweg Jesu. Dieser scheint fast wichtiger zu sein als der Rest seines Lebens, fast wichtiger als die Berichte vom leeren Grab. Was hat der ohnmächtige, in menschlicher Sicht gescheiterte Gekreuzigte zu sagen in einer Welt, die aufgerüstet und polarisiert wird?

An einer entscheidenden Bruchstelle des Johannes-Evangeliums, dem Beginn des Passionsberichtes, sagt Jesus: „Wenn das Weizenkorn nicht stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“
Dies ist, in einem Bild gesprochen, die „Sichtweise Gottes“ – so ganz anders als menschliches Empfinden. Diese Sichtweise lädt nicht nur dazu ein, solidarisch zu sein mit dem Leid, mit dem Sterben vor unserer Haustür.
Das auch.
Zuvor jedoch gilt es, das Dunkel im eigenen Inneren zuzulassen, wahrzunehmen, auszuhalten, wandeln zu lassen und damit die „Lebens-Logik Gottes“ zu übernehmen.
Nirgendwo anders als im eigenen Herzen will das Weizenkorn, Symbol des Lebens und der Nahrung, eingesenkt sein. Für Christen bedeutet dies „Nachfolge“ – ein aus der Mode gekommener Begriff, der über Jahrhunderte benutzt wurde, um auszudrücken, dass Glaube (auch) die Nähe und Freundschaft zum leidenden Jesus beinhaltet. Denn es ist seine Ohnmacht, welche an Ostern die Tür aufgestoßen hat zu einer neuen Lebens-Möglichkeit.
Das Weizenkorn im Dunkel der Erde will aufblühen und Frucht bringen im ganz konkreten Leben.

Wenn jetzt im Sesshin sich wieder Menschen zusammen finden im gemeinsamen Sitzen in Stille, dann hat dies auf den ersten Blick einmal mit dem bisher Gesagten nichts zu tun. Nur auf den ersten Blick. Denn die Brücke zwischen Meditation und aktiver Lebendigkeit ist eine Haltung innerer Entschlossenheit und Entschiedenheit. In dieser Haltung schweigend da sein, sich für eine begrenzte Zeit nicht bewegen, nicht vor mir selbst davonlaufen, mich nicht ins Tun flüchten, die Dunkelkammer der eigenen Selbsttäuschung aushalten – da fällt das Weizenkorn in die Erde und will als Frucht dazu verhelfen, innerlich frei zu werden, nicht steif und stur, eher barmherzig-transparent und klar, in einem neuen, nicht-egozentrierten Selbst-Bewusstsein.

Nach jeder Meditations-Einheit gilt es aufzustehen. Aus der „Sicht-Weise Gottes“ resultiert eine „Lebe-Weise“ für den Menschen in der Freiheit, sich nicht mehr hin und her treiben zu lassen vom Wind aller möglichen Infos, Gedanken, Meinungen, Sorgen und Ängste.
Ein Lebensstil, der „Nein“ sagt zu allem, was dem Leben entgegen steht, auch wenn dies gerade nicht opportun ist. Der nahe ist denen, die das Leben „ausgerandet“ hat.
Dazu gehört die Möglichkeit und Freiheit, dass der Mensch nicht Böses mit Bösem vergilt, dass er sich nicht gefangen nehmen lässt von der Gier nach Macht und der Spirale der Gewalt. Alle Erfahrungen in der Stille wollen im Leben realisiert sein, wollen Fleisch und Blut werden, wollen beitragen, dass Ostern für viele zu einer Hoffnung auf „Leben in Fülle“ wird. Weil er, Jesus, auferstanden ist, kann der Mensch aufstehen.

Von Herzen bin ich dankbar für diesen Weg, wünsche uns allen gesegnete und erfüllte Ostertage und freue mich, viele von Ihnen am 5. Mai beim Tag der Offenen Tür in unserem neuen Meditationszentrum in Hattingen-Welper zu sehen.

P. Paul   

Fotos Inge Hausen-Müller, aufgenommen im Berliner Holocaust-Denkmal