Fasten aus Liebe
In einer zu wachsendem Konsum animierenden Gesellschaft (Stellen Sie sich vor, was aus dem als absolute Notwendigkeit dargestellten Wirtschaftswachstum würde, gäbe es nicht immer neue und steigende Bedürfnisse!) ist Fasten ein interessantes Vorhaben. Sozusagen ein Kontrastprogramm. Es kann verschieden motiviert sein. So etwa durch die Frage: Was brauche ich wirklich? Was tut mir nicht nur für einen Moment gut, sondern macht mein Leben, das ich nicht nur für mich lebe, reicher? Wie kann ich unnötigen Ballast abwerfen, vielleicht ganz wörtlich als Körpergewicht? Wie kann ich wieder selbst bestimmen, wie ich mit meinem inneren „Haben-wollen“ umgehe? Was kann ich sein lassen, am besten in großer Gemeinschaft, was der Umwelt schadet? Wie kann ich Freiheit gewinnen, etwa in meinem Terminkalender, um wieder Zeit zu haben für längst Vorgenommenes, anderen Versprochenes?
Gut, gut. Aber hier liegt noch nicht der Sinn dessen, was religiöses Fasten eigentlich meint.
Lassen und Liebe beginnen mit demselben Buchstaben. Nur die Liebe führt wirklich dahin, zu lassen, was ich bisher als für mein Leben berechtigt und unverzichtbar angesehen habe.
Christen fasten im Blick der Liebe dessen, der am Kreuz sich selbst und in sich selbst alles gelassen hat, sich „entleert“ hat, wie es im Philipperbrief heißt. Und finden diesen Blick wieder im Angesicht so vieler Menschen, die niemand gefragt hat, ob sie fasten, ob sie loslassen wollen – die das Leben dazu „gezwungen” hat.
Die Solidarität mit ihnen lässt mich die Angst überwinden, dass ich aufgeben soll, was ich bisher für meine Identität gehalten habe. Denn diese Vorstellung zerbröselt, wenn sie sich nicht mehr ans Haben, ans Machen, ans Gelten klammern kann. Mehr und mehr arm und leer habe ich nichts zu geben außer mir selbst. Oder besser gesagt: werde ich zum Gefäß, in dem sich die unendliche Wirklichkeit schenken will – auch und gerade in dem, was wir Not und Leid nennen.
Diese Liebe weiß sich ganz und gar aufgehoben und genährt vom DU des Gekreuzigten, der im Ausbreiten seiner Arme alle und alles umfasst; eine Herzensbeziehung, die sich hineinnehmen lässt in die Lebensbewegung Jesu, der arm wurde, um uns reich zu machen.
In der Übung der Zen-Kontemplation begegnen wir dem Klammeraffen in uns, der sich an Gedanken, Zweifeln, Sorgen, Ideen festhält. Hier zu fasten, bedeutet, loszulassen als ein Geschehen in Liebe. Nur die Liebe gibt das Vertrauen, dass ich mich aufgeben, entäußern kann in dem, was ich kenne, was mir vertraut ist, was ich zu „haben“ glaube – und doch in jedem Augenblick verlieren kann.
Freilich: Dies ist nicht nur im Zendo gefragt. Gerade in schwierigen Situationen weckt diese „Dreingabe“, dieser Verzicht darauf, wissen und kontrollieren zu wollen, neue Kräfte – oft außerhalb dessen, was ich bisher für möglich erachtet habe.
Leben bricht durch, das pures Geschenk ist, Gabe.
Nach der Erfahrung von Ostern, so heißt es aus der Geschichte der frühen Kirche, wird der Apostel Petrus zu einem Gelähmten sagen: „Gold und Silber habe ich nicht, aber was ich habe, gebe ich dir: Im Namen Jesu steh auf!“
Hier zeigt sich die andere Seite der Fasten-Medaille: Leere und Armut werden zu einer Möglichkeit für Neues, machen die grenzenlose Wirklichkeit mitten im Leben transparent. Und befähigen zu einem Tun, das nicht mehr (oder zumindest weniger) geprägt ist von den eigenen Vorstellungen – und deswegen ungleich mehr eine Antwort sein kann auf konkrete Not.
Verbunden mit Ihnen auf diesem Weg ins österliche Leben
P. Paul