Der Stein ist weg
Nur zu gut kennen wir das: steinige Wege, verbaute Möglichkeiten, verschlossene Türen, kalte Herzen – wie aus Stein.
Und dann die Ostergeschichte, merkwürdig: Das Grab wurde verschlossen, der Tradition folgend durch einen massiven Felsblock. Die Frauen wollen zu ihm, dem Gekreuzigten, wollen ihn salben. Wie kommen sie jedoch ins Grab hinein? Wer kann diesen Fels, der das Leben tot drückt, auch nur um ein weniges bewegen? “Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war.” (Mk 16,4)
Er ist weg, einfach nicht mehr da! Das Grab ist offen und leer!
Fast wie die “torlose Schranke”, die viele Zen-Meditierende aus der Arbeit mit Koans kennen. Auch aus dem Koan des Lebens: die große Sorge um ein Problem, eine Schwierigkeit, die es auf einmal gar nicht mehr gibt. Wie weggeblasen, in Luft aufgelöst.
Aber die ersten Osterzeuginnen jubilierten nicht.
Der weggeschaffte Stein, die Auferstehungsbotschaft des “Engels” führten vielmehr dazu, dass sie “das Grab verließen und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich.” (Mk 16,8)
Was machte sie derart fassungslos? Wovor fürchteten sie sich? Was schockierte sie? Was hatte sie ergriffen? Ganz ohne Zweifel begegneten sie der unendlichen Wirklichkeit – jener Kraft der Liebe, die stärker ist als der Tod.
Diese Liebe, in den Tagen zuvor leidvoll ausgedrückt in der Lebenshingabe des Gekreuzigten, im Brotbrechen des Abendmahles, in der Fußwaschung (wie Schuppen fiel es ihnen von den Augen!) war jetzt frei. Kein Fels, kein Verrat, kein Hass konnte sie mehr in Schranken halten. Sie fuhr ihnen durch die Glieder. Und alles, was an Vorstellungen von Tod und Leben, von Grenze und Maß in ihnen wie in Stein gemeißelt war, brach zusammen:
Der Stein wurde in ihnen weggewälzt!
Es ist, als ob sich das Wort des Propheten realisieren würde: “Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch.” (Ez 36,26).
Was für eine Neugeburt! Was für eine Möglichkeit, diese niemand ausschließende Liebe an sich geschehen zu lassen und weiterzugeben! Welch ein Trost hinein in eine Zeit, in der die Stimmen des Todes und der Resignation tonangebend sein wollen!
Mit P. Johannes und allen Teilnehmern und Teilgeberinnen im Ostersesshin wünschen wir Ihnen und allen an Ihrer Seite die Oster-Erfahrung, dass der Stein weg ist. Möge uns wie den Frauen am Grab das neue Leben durch Mark und Bein gehen. Dann werden wir in uns die Autorität und auch die Forderung spüren, allen Todesmächten zu trotzen.
P. Paul