Der Schatz, die Perle und der Ton

Wer kennt sie nicht, die beiden Gleichnisse über den Schatz im Acker und die kostbare Perle aus den Reden Jesu über das Reich Gottes? Aber – es ist eine Sache, diese Worte zu hören und eine andere, jetzt in diesem Augenblick es zeigen zu können: HIER ist die Perle, HIER ist der verborgene Schatz! Ich erinnere mich an einen solchen Moment: Bei einem Treffen von Sanbo Zen hob Ryoun Roshi, der Sohn von Yamada Roshi, seinen Stab empor und sagte: DIES ist meine Wesensnatur, das Kostbarste über alle Vorstellungen hinaus!

Eine kleine Geschichte kann uns hier helfen – wie ein Koan:
Ein Cello-Spieler übte jeden Tag auf seinem Instrument. Oft setzte sich seine Frau neben ihn und strickte. Eines Tages fragte sie ihn: Alle Cellisten der Welt spielen auf einem Instrument mit vier Saiten. Deines aber hat nur eine Saite und du spielst immer denselben Ton. Darauf antwortete er: Sie alle suchen danach, ich aber habe ihn gefunden, meinen Ton.

Was hat es auf sich mit diesem Ton? Wie kann ich ihn hören? In welcher Beziehung steht dieser Ton zum Schatz im Acker meines Lebens, zur kostbaren Perle?

Jede und jeder von uns kann ihn hören, seinen und ihren Ton, ganz persönlich. Er durchdringt alle anderen Töne, ist wie die Atmosphäre, die mich umgibt. Er ist weder laut noch leise und ist immer da. In geheimnisvoller Weise ist er verbunden mit der Welt der Dinge, mit meinem Leib, mit meinen Sinnen, mit den Geräuschen. Und ist doch wieder davon unabhängig.
Wenn ich ihn höre, mich hineingebe, selbst zu diesem Ton werde, dann merke ich: Es stimmt mit mir. Wenn ich mich von ihm entferne, ist mein Inneres unruhig, bin ich oft abhängig von den vielen Stimmen, die von außen an mein Ohr drängen.

Es ist vergleichbar mit der Atmosphäre, mit einer lichten Wolke oder einer Umhüllung aus Gazestoff. Stimmt die Atmosphäre, so kann ich gut da sein. Herz und Verstand wirken zusammen, ich bin offen für die geplanten und überraschenden Ereignisse des Tages und spüre intuitiv, was zu tun und zu lassen ist. Ich hänge sozusagen an der Nabelschnur des Unendlichen. Ich spüre, was mir hilft, in dieser Atmosphäre zu bleiben und was mich eher aus ihr hinaus führt und kann dem entgegen steuern. Mit innerer Hygiene. Desinfektion mit Hilfe meiner Aufmerksamkeit, die dafür sorgt, dass sich Gedanken, Fragen, aufkommende Gefühle nicht festsetzen, dass sie, wie in der Meditation, kommen und gehen, kommen und gehen. Dann entsteht ein offener Raum, in den ein Wort, ein wahrgenommenes Ding, eine Begegnung hineinfallen kann. Und siehe, DA ist der Schatz, die Perle, DA erklingt der Ton. Nicht getrennt von mir, ich bin Im Schatz, In der Perle, ich BIN ganz Ton. Da passt gar nichts dazwischen.

Und es ist auch nicht so, dass ich, um solches zu erleben, darauf warten muss, bis das Leben meinen Vorstellungen entspricht. Gerade da, wo ich es am wenigsten erwarte, mich klein, schwach und vielleicht schuldig fühle, öffnet sich oft eine Tür zu dieser Welt des Kostbaren.

Können wir einander dabei helfen, in einer solchen Atmosphäre zu leben und zu bleiben? Ja, das können wir. Lasst uns einfach in der Erkenntnis leben, wie wunderbar es ist, wenn jeder im Eigenen Ton zu Hause ist, und nicht darauf beharren, dass es Mein Ton sein muss. Lasst uns einander wünschen und ruhig auch einmal aussprechen: Sei ganz Du!
Und lasst uns, wenn möglich, einander in die Gegenwart zurückholen. Es gibt kein größeres Geschenk, das wir geben und empfangen können, als das: Gemeinsam jetzt und hier den Schatz im Acker, die kostbare Perle, den Ton des Unendlichen wahrnehmen.
Siehst du ihn, hörst du ihn?

P. Paul

Fotos Inge Hausen-Müller