Wir

Pfingsten ist ein Wir-Ereignis. Es geht nicht nur um die wenigen Menschen, die vor 2000 Jahren die Erfahrung von Verwandlung machen durften. Plötzlich verschwanden Angst, Verschlossenheit und Zweifel. Mut erfüllte sie, Leben in Fülle strahlten sie aus, bisher Fremdes verstanden sie nun. Jedoch: Was ihnen zuteil wurde, gilt allen zu aller Zeit, der ganzen Schöpfung. Wie ein belebender Regen, der alle und alles berührt und zum Erblühen bringen will.

Was für ein Fest in der Situation unserer Zeit! Nach der Epidemie entdecken wir gerade die Schätze des Gemeinsamen, freuen uns über die Möglichkeit, einander zu begegnen, gemeinsam ins Schweigen zu gehen. Gleichzeitig ist im Angesicht des Krieges die Rede vom gescheiterten Projekt der einen globalen Welt. Und neben den großen Konfliktlinien gibt es die Risse, die durch unsere Gesellschaft gehen.

Es wird Zeit, dass wir geisterfüllte Gemeinschaft neu lernen; dass wir die Erfahrungen unseres spirituellen Weges ins Miteinander einbringen. Dort – Familie, Gemeinde, Gemeinschaft, Sangha – wird es konkret. Natürlich sind wir auch im Raum der Meditation zusammen. Natürlich wissen wir, wie sehr wir die erfüllte Atmosphäre dort einander verdanken. Und natürlich beginnen und schließen wir unsere Sesshin-Tage mit „… und schließen die ganze Schöpfung ein“. Und dennoch ist es das „alltägliche“ Leben, in dem wir „erwachen“ zu uns selbst. Vielleicht greift auch hier der Name „Zen-Kontemplation“. Während die Zen-Tradition ganz auf den Einzelnen ausgerichtet ist und in ihm die ganze Welt, den Kosmos sieht, hat es im Christentum oft eine Überbewertung von Gemeinschaft und ihren Strukturen gegeben. Beide Erfahrungswege haben einander hier etwas zu schenken: die Erkenntnis aus dem Schweigen realisiert sich in der liebenden, sich aneinander verschenkenden Weite des Herzens.

Oft ist Gemeinschaft genau der Ort, an dem unsere Mit-Menschen uns „Dokusan“ geben, uns aufmerksam machen auf unsere „blinden Flecken“, uns so motivieren für den Weg. Aus der frühen Kirche gibt es in der Bibel eine Erzählung, in welcher der Apostel Petrus durch eine Vision (von Gott persönlich!) zu einem Nicht-Juden gerufen wird. Eigentlich war dies einem frommen Juden verboten. Weil aber die innere Stimme ihn rief, gehorchte er und ging hin. Dort angekommen, muss er zu seiner eigenen Überraschung feststellen, dass in diesem „Ungläubigen“ bereits der Geist Gottes am Werk war – und dies, ohne dass bisher eine Taufe vorgenommen worden war. Dieser Besuch stellt das ganze Gottes- und Weltbild des Petrus auf den Kopf. Von da an ist er ein anderer und tritt dafür ein, dass christliche Gemeinschaft sich nicht in sich verschließen darf.

Ich mag diese Geschichte sehr. Egal, wie lange ich „schon auf dem Weg“ bin: Ich kann von allen Menschen lernen – und oft sind es diejenigen, von denen ich es am wenigsten erwartet hätte. Und oft sind es Situationen, in denen mir mein eigenes Nicht-Vermögen allzu deutlich vor Augen geführt wird.

Wenn wir uns in diesen Tagen der Stille aussetzen, uns in die Haltung geduldigen Erwartens einlassen, dann mag uns der Blick auf unsere kleine und große Menschheits-Familie motivieren. In Vallendar und auch in Rom wird es wieder ein Sesshin geben. Wo auch immer sich jemand „setzt“, ist er/sie nicht allein. Das Wir an Pfingsten ist Gemeinschaft des Bittens. Niemand kann sich selbst den Geist einflößen. Er/sie (in biblischer Sprache weiblich!) wird „über uns kommen“. Sie wird über alle kommen, denen in diesen Tagen der Schatz des Gemeinsamen neu aufgeht, die um Frieden ringen und darum bitten. Sie wird nicht so kommen, wie wir uns das vielleicht ausdenken. Lassen wir uns – in allem Ernst – überraschen.

P. Paul

Fotos: Inge Hausen-Müller