Wähle!

Was in diesen Tagen viele Menschen beschäftigt, ihnen Sorgen macht und sie herausfordert, das ist mit dem Thema „Wählen“ auch in der christlich-buddhistischen Tradition zu finden. So fordert Gott sein Volk dazu auf, sich für das Leben gegen den Tod zu entscheiden:

„Ich nehme Himmel und Erde heute über euch zu Zeugen: Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, dass du das Leben erwählst“ (5 Mose 30,19).

Mit menschlicher Freiheit ist auch die Wahl verbunden, ein Privileg und zugleich der Auftrag, es verantwortlich zu tun. Privileg: Trotz aller Vorgaben und Grenzen ist das Leben in menschliche Hand gelegt. Auftrag: Das Wie, die Einstellung, die Haltung bestimmt, was und wie wir ent-scheiden, wie wir wählen. Und dieses Wie bedarf der ständigen Pflege. Dafür sitzen wir in der Stille, dafür halten wir inne, dafür tragen wir Sorge, dass die Kräfte des Verstandes und der Intuition zusammen kommen und zusammen wirken. So sind wir Menschen von der Schöpfung her gebaut und darauf will Gott-IN-Uns, will unser wahres Wesen uns wie in einem Mahnruf aufmerksam machen. Der Blick darauf könnte erschrecken lassen; und wenn es so wäre, könnte es ein heilsames Erschrecken sein! Was die Zen-Tradition betrifft, hat Altmeister Joshu hier Wichtiges beizufügen: Er zitierte wohl gerne den im Buddhismus bekannten Satz: „Der höchste Weg ist nicht schwer, nur duldet er kein Wählen.“ So zum Beispiel im Koan 2 der Sammlung Hegikanroku. Also doch kein Wählen? Keine Freiheit? Gemeint ist hier, soweit man dies mit Worten ausdrücken kann, wohl eher das Anhaften an sich selbst, an der eigenen Meinung und Sichtweise, menschliche Borniertheit. Genau dies macht ja unfrei, im richtigen Augenblick (nicht zu spät und nicht zu früh) den rechten Schritt zu gehen. Geschieht dieser jedoch recht, aus der Mitte, im Leben aus der Mitte, so tritt der Moment der „Aus-Wahl“ zurück: Es ist, als ob es sich ergibt, es legt sich nahe, drängt mich, ich gehe und werde gegangen….

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Noch auf ein Weiteres macht das Koan aufmerksam: Der „höchste“ Weg ist nicht die Prachtstraße fernab des Alltags, sondern deutet geradewegs hin auf die vielen Wahlen, die ich jeden Tag zu treffen habe, etwas zu tun oder nicht, Zeit zu haben oder nicht… Erst diese vielen kleinen Entscheidungen befähigen dann ja auch, in derselben Haltung und in derselben Selbstverständlichkeit dort recht zu wählen, wo es um echte Zäsuren im Leben geht, in meinem und damit ja auch in dem von anderen Menschen. Einem Menschen unter Einsatz des eigenen Lebens zu Hilfe zu eilen, dies setzt voraus, dass ich vorher meine Entscheidungen so getroffen habe, dass ich jetzt dazu bereit bin.

So rufen uns beide spirituelle Traditionen zu: Wähle das Ganze, wähle das Leben! Wähle!

P. Paul