Verlieren können

2016-ostern2Das klingt nicht sehr österlich, zugegeben.
Das dahinterstehende Wortspiel lässt sich auch im Deutschen nicht wiederholen: “saper perdere”.
In “saper” steckt mehr als “können”, da geht es um Weisheit und Schmecken. Der Ausdruck stammt von der 2008 verstorbenen Gründerin der ökumenischen Fokular-Bewegung, Chiara Lubich.

Die Jünger Jesu haben, bevor sie fassungslos ins Ostergeschehen hineingenommen worden sind, alles verloren: Familie, Arbeit und vor allem Lebenstraum und -perspektive, alles, was ihnen in der Beziehung mit Jesus Nachfolge und Freundschaft bedeutete.
Mit dem Kreuz war alles aus. Diejenigen, die unter dem Kreuz standen – in erster Linie die Mutter Jesu – sind in gewisser Weise mit Jesus gestorben, haben ihr Leben verloren.

Auferstehung geschieht aus dem Tod. Nicht nur beim Gekreuzigten. Freilich bei Ihm zuerst – dann aber auch bei jedem, der sich auf ihn einlässt, der die Suche nach dem eigenen, wahren Selbst mit dem Glauben an den Auferstandenen, an Jesus Christus, verbindet. Zeichen dieser Lebensentscheidung ist ja das Eintauchen ins Wasser der Taufe, das „Verschwinden“ des Alten, damit die „neue Schöpfung in Christus“ ersteht. Gerade in diesem Bild bekommt „verlieren“ einen ganz neuen Klang. Wer auf Ihn hin verliert, wird gewinnen. Verliert er, was er hat, wird er alles gewinnen, sein eigenes Leben in Fülle, sich selbst – weit mehr, als jeglicher Verlust sein kann. „Darum sehe ich alles als Verlust an: Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung; sein Tod soll mich prägen“ (vgl. Brief des Apostels Paulus an die Philipper 3, 7-12).

2016-ostern1Für Chiara Lubich kam noch etwas hinzu: Der am Kreuz alles verloren hat und sein Leben hingibt für die Menschen, der wird zum Zentrum der Einheit.
Schmerz und Tod am Kreuz sind verwandelt in ein Geschehen aus Liebe. Diese Liebe baut Brücken, führt zusammen, lässt eins werden über alle Hindernisse und Grenzen hinweg. Verlieren können, sich verschenken können werden so zur Baukunst menschlicher Gemeinschaft.

Dies wird spürbar in diesen Tagen, wenn wir uns im Miteinander den Weg Jesu von der Fußwaschung und vom Abendmahl bis hin zum leeren Grab und den brennenden Herzen auf dem Emmausweg vergegenwärtigen. Dies wird spürbar in einer Zuversicht, die über das Machbare und Erklärbare hinausreicht. Dies wird spürbar, wo Menschen bereit sind, in diesem österlichen Bewusstsein etwas zu verlieren, auf etwas zu verzichten, damit andere zum Leben kommen; wo Gewalt nicht mit Gewalt beantwortet wird. Dies wird spürbar, wo der eigene Lebensstandard nicht als unverzichtbarer Besitzstand gilt, sondern zur Hilfe und Perspektive für viele wird. Und schließlich wird es dort besonders spürbar, wo Schmerz und „Unglück“ angenommen werden können und oftmals zum Neubeginn eines anderen, reiferen, menschlicheren Lebens führen.

Vielleicht ist „verlieren können“ so etwas wie ein Prüfstein für die Qualität österlicher Lebenspraxis. Wo der Tod nicht mehr Tod ist – wie sollte da ein liebendes Verlieren in Seiner Nachfolge nicht zum Leben führen?

Mit allen Teilnehmenden und -gebenden ganz erfüllt vom Geschehen des Oster-Sesshins

P. Paul

 

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Fotos: Inge Hausen-Müller