Unwort und Fürwort des Jahres
Am 13. Januar um 9:30 Uhr wurde das “Unwort” des Jahres veröffentlicht: “Sozialtourismus”.
Weil dieses Wort eben ein “Unwort” ist, hat es keinen Wohlklang und bringt auch – nach Hölderlin: “Wie die Finger der Künstlerin heilige Saiten” – nichts zum Klingen, wie es Eichendorff ausdrückt:
“. . . und die Welt fängt an zu singen, triffst Du nur das Zauberwort.”
Ein solches “Zauberwort” wäre das Gegenteil zu einem “Unwort”. Es wäre wie der Kuss, der das Dornröschen und alle guten Geister zum Leben weckt.
Gäbe es ein solches Wort, das Wort allein würde Dornröschen aber nicht zum Leben wecken. Es käme darauf an, wie das Wort gesagt würde. Ein Kuss irgendwie hätte Dornröschen nicht zum Leben erweckt. Das Wort wie der Kuss wären leben- weckend nur in Liebe.
Gibt es ein Wort, in Liebe gesagt, ein Wie des Tuns, eine Weise des Guten-Tag-Sagens, die Leben wecken können? Ich meine, in unserem Sesshin zum Jahreswechsel ein solches Wort gefunden zu haben. Es ist das Wort herzlich.
Leben aus der Mitte, das Motto unseres Programms, ist eine abstrakte Benennung für Leben, für ganz lebendiges Leben, für eigentliches Leben.
Das Wort herzlich geht nicht durch die Windungen des Gehirns. Dieses “Fürwort” kommt unmittelbar vom Lebendigen und Warmen unseres Daseins, vom Innersten unseres Wesens, vom Herzen unserer Natur – ganz bei sich sein, eins sein mit seiner Wesensnatur, im Alltäglichen: herzlich.
Sesshin, das japanische Wort für die Übungszeiten, heißt Herzberührung. Im Alltag in dieser Berührung zu bleiben, ist Sinn der Übung. Eins zu sein mit sich, mit seinem Wesen, mit der Situation, ganz bei dem sein, was ist, sich wesensgemäß geben und einfach ganz richtig da sein, so umschreibe ich das Gemeinte mit dem “Fürwort” herzlich.
Aber damit sehe ich den Reichtum dieses Wortes nicht erschöpft.
Bin ich wirklich eins mit meiner Wesensnatur, bin ich eins mit der Wirklichkeit, dann fehlt mir nichts, dann – dann – ich möchte mich hundert Mal auf den Boden werfen, bevor ich dieses Ungeheuerliche sage -, dann sehe ich Gott in mir, dann brauche ich eine andere Sprache, um Worte zu finden für das Eins-Sein mit mir. Dann bin ich auch eins mit Ihnen, wenn Sie lesen, wie ich versuche, den Reichtum dieses “Fürwortes” zu beschreiben.
Meine Beziehung zu den Dingen hat die warme Körpertemperatur: eins im Leib Christi, in diesem geheimnisvollen In ohne Außen. In jeder herzlichen Berührung, berühre ich mich selbst, berühre ich, liebe ich, meinen Nächsten wie mich selbst.
Herzlich, dieses “Fürwort” birgt in sich so viel – vielleicht darf ich sagen: alle Wahrheit -, dass ich, wenn ich es ein bisschen aufmerksam sage, auch schon seine Wirkung spüre. So sei es gesagt und körperlich wahrgenommen – erspürt als Wort des Jahres für Leben aus der Mitte – gesagt und gelebt.
Herzlich – und auch: ganzherzlich guten Tag 2014
P. Johannes