Resonanz

Seit gut 6 Monaten haben wir es auch in Deutschland mit der Corona-Pandemie zu tun.
Krisen, Katastrophen – tatsächliche und nur eingebildete beziehungsweise durch Hysterie und übersteigerte oder fehlgeleitete Emotionen und Selbsterhaltungstriebe (= nackte Ich-Triebe) getriggerte Katastrophen – bringen offensichtlich viel deutlicher, als dies in „Normal-Zeiten“ der Fall zu sein scheint, die sozialen Kompetenzen der Menschen wie Fürsorge, Achtung, Achtsamkeit, Mitgefühl und Solidarität zum Vorschein. Aber ebenso kann man bei manchen Menschen Äußerungen und Verhaltensweisen, geprägt von Uneinsichtigkeit, Rücksichtslosigkeit, verengtem Denken und dem Verfolgen ausschließlich oder jedenfalls an absolut erster Stelle gestellten Eigeninteressen und schließlich – man muss es so deutlich benennen – Dummheit beobachten. Das hat sich auch ein halbes Jahr nach dem Lock-Down und der schrittweisen Rückkehr zu einer „neuen“ Normalität im Kern nicht geändert. Dabei geht es doch, wie Politiker es im Frühling ungeschönt ausdrückten, um Leben und Tod.

Um Leben und Tod geht es. Durch diesen unmissverständlichen Hinweis versuchten es die Zen-Meister seit alters her durch alles, was sie taten und sagten, beziehungsweise „nicht taten“ und „nicht sagten“, die grundlegende, da existentielle, Unwissenheit in Bezug auf die wahre Natur der Dinge, Phänomene und der Lebewesen und so auch der des Menschen aufzuheben. Jedes Wort und jegliches Tun sollte dem Einzelnen helfen, diesen Schleier vor der umfassenden Lebens-Wirklichkeit ein wenig, ein wenig mehr und vielleicht ganz zu lüften.

Erschreckt Sie das: Leben und Tod?

Wenn ja, ist es gut, wenn und soweit sich für Sie das Motiv, und sei es „nur“ das einer echten Neugier, ergibt, diesem Erschrecken und dem Grund dafür nachzugehen – und frei davon zu werden.
Wenn nein, ist es erst recht gut. Denn dann haben Sie möglicherweise schon etwas erspürt oder erkannt und womöglich direkt erfahren, worum es letztlich auf dem Weg der Zen-Kontemplation geht.

Es geht, um es zu wiederholen, in jedem Fall um Sie, um Ihre Existenz und Ihre genau diese berührenden Fragen – hier und heute, jetzt und morgen. Kodo Sawaki (1880-1965), der große japanische Zen-Meister des Soto-Zen, sagte es so: „He, was glotzt du so? Siehst du nicht: Es geht um dich!?“ (Kodo Sawaki und Kosho Uchiyama, Die Zen-Lehre des Landstreichers Kodo, 2007, Umschlagrückseite).
Und gleichermaßen ist es richtig zu sagen: „Es geht überhaupt nicht um Dich!“ Es geht um etwas viel Umfassenderes und Größeres als dieses kleine Ich mit seinem Blick auf sich und auf die Welt in einer bloßen Ego-Perspektive.

Es geht, so könnte man vielleicht sagen, um Resonanz und Resonanzerfahrung, und dies nicht nur (wenn auch) in der Beziehung zu den äußeren Dingen und Erscheinungen, sondern eben auch in Bezug auf die absolute, in den theistischen Religionen als göttlich apostrophierte Wirklichkeit. Dies führt direkt hinein in den Grundkonflikt zwischen dem Bestreben, die Welt verfügbar zu machen und Kontrolle über sie zu haben, und dem zutiefst in uns ebenfalls angelegten Verlangen, mit ihr als umfassender Lebens-Wirklichkeit in Resonanz zu treten und auf diese Weise uns selbst als Resonanzkörper zu erfahren. Diesen Gedanken und die Verwendung des Begriffes der Resonanz in diesem Zusammenhang verdanke ich dem Soziologen Hartmut Rosa. (Vgl. dazu ders., in: Unverfügbarkeit, 5. Auflage, 2019, S. 68).

Dieser Grundkonflikt gründet letztlich – und dies nicht nur im soziologischen auf die Welt der Dinge und Phänomene gerichteten Sinne – auf einer von unserem gewöhnlichen Bewusstsein unreflektiert vorgenommenen Gleichsetzung von Erreichbarkeit und Verfügbarkeit (zur soziologischen These hierzu vgl. Hartmut Rosa, ebd., S. 67 f.). Aber meditative Erfahrungen sind genauso wie sonstige Resonanzerfahrungen, die wir in mannigfaltiger Weise in unserem Leben „haben“ können, nicht verfügbar, aber eben erreichbar, wenn wir empfangsbereit sind „in einem responsiven, ergebnisoffenen Geschehen“ (Hartmut Rosa, ebd., S. 68), und wenn es uns geschenkt wird (auch dies, den Geschenkcharakter von, theologisch gesprochen, Gnade betont Rosa, ebd. zu Recht ganz deutlich). Das ist ein Geschehen im Sein, nicht im Haben – und noch präziser aus der Sicht der Zen-Kontemplation gesagt: im Wach-Da-Sein! Eine Seins-Weise, in der ich mich anrufen lasse aus der Sphäre der Unverfügbarkeit für uns menschliche Wesen auf diesem kleinen Planeten in diesem unendlich sich weiter und weiter ausdehnendem Universum, von dem wir nicht einmal wissen, ob es nicht lediglich ein Universum unter oder neben vielen anderen ist.
Also: Vorsicht, Vorsicht!
Und zugleich: Zuversicht, dass wir teilhaben an einer solchen unendlichen Wirklichkeit, dass es Wege gibt, mit ihr in einen Resonanzkontakt zu kommen und aus einer solchen Berührung heraus wohlgemut unser Leben in Zuversicht zu leben.

Vielleicht können Ihnen die Texte des im Mai neu erschienenen Buchs „Wach da sein: ZEN im Leben“ mit 52 Abendimpulsen von mir, den in ihnen enthaltenen kleinen Zen-Kostbarkeiten, den zahlreichen kongenialen Bildern und Zeichnungen von Michael Brucherseifer und Ulrike Rögner-Fahrendorf und einem Glossar eine kräftige Prise einer solchen Zuversicht in Verantwortung für Ihr und unser aller Leben geben. Ich hoffe dies sehr.

Bleiben Sie gesund.
Klaus Fahrendorf
Cloud of Merciful Awareness

Sie können sich über diesen Link zur Verlagsseite näher über das Buch sowie über die verschiedenen Ausführungen nebst ISBN informieren. Erhältlich ist es über den Verlag direkt, den Buchhandel, vor Ort in den Sesshins in Essen-Werden und bei den wöchentlichen Montagabendmediationen in Bochum. Gerne können Sie sich in diesen Corona-Zeiten auch an mich direkt wenden (Klaus.Fahrendorf@gmx.de). Wir senden gerne zu.

Fotos Inge Hausen-Müller