Noch einmal neu beginnen

Nach ersten positiven Erfahrungen in der Meditation stellt sich oft die Frage: Wie integriere ich die Zeit der Stille in meinen Alltag? Wie finde ich zum „Täglichen“, das ohne Frage zu meinem Tagesablauf dazu gehört? Wie halte ich durch, wenn Trockenphasen kommen, wenn sich die gewünschten Effekte nicht einstellen wollen, wenn in meiner Lebensgeschichte Dinge geschehen, die mich ganz beanspruchen und das Gedankenkarussell Tag und Nacht antreiben? Wenn es so viel zu tun gibt, dass die vorhandene Zeit dafür einfach nicht ausreicht? Wenn die ungelösten Probleme mich in die Stille verfolgen und im Hinblick auf die Meditation ein „es hat doch keinen Zweck“ auslösen? Wenn ich mir selbst, wie bei nicht eingehaltenen Vorsätzen, die Schuld gebe, es „nicht zu schaffen“?

Beginne neu! Gerade die Erfahrung, es „nicht zu können“, ist dafür wertvoll. Sie nimmt die – gewohnte, aber hier in die Irre führende – Einstellung weg, etwas machen, leisten, können zu wollen, wenn ich mich setze. Und stellt mir meine eigene Hilfsbedürftigkeit vor Augen.
Der gute Wille allein reicht nicht. Hinzukommen muss die Kunst, sich helfen zu lassen. Dabei gilt es, die Spitze der Widrigkeiten des Lebens umzudrehen. Anstatt mir den Weg zu verstellen, können sie zum Motiv werden, mich neu und tiefer zu begründen. Worin? In meinem Wesen, der kostbaren Perle, die unberührt von den Wellen der Ereignisse da ist, gegenwärtig ist.

Manchmal helfen am Beginn einer stillen Zeit Worte, mich in diese Gegenwart vertrauend einzulassen, sie anzufühlen, in ihre Richtung meine Fühler auszustrecken. So formulierte Meister Eckhart, auf dessen Spuren in Erfurt wir im kommenden Jahr unterwegs sein werden:
Wo die Seele ist, da ist Gott, denn die Seele ist in Gott. Das ist so wahr, wie Gott Gott ist.
Sofern ich ungeboren bin, bin ich ewig gewesen, bin ich jetzt und werde ich ewig dauern. Was an mir geboren ist, das wird sterben und zunichte werden.
Darum hat Gott die Welt geschaffen, auf dass Gott in der Seele geboren werde und die Seele in Gott geboren werde.

Im Übergang vom Alltag zur Zeit der Stille werde ich nicht immer solche Worte aus ganzem Herzen mitvollziehen können. Darum geht es auch nicht. Sie wollen die Richtung angeben, wollen die Kräfte in mir wieder wachrufen, die mich einmal dahin geführt haben, ein suchender Mensch zu werden und zu bleiben. Es sind wahre Worte. Sie sind geboren aus der Wahrheit menschlicher Würde und wollen zu dem Bewusstsein führen, aus dem sie entstanden sind.

Was gibt es Wichtigeres in unserer Zeit, in der so viele Gewissheiten hinterfragt werden, als genau das: In sich selbst zu einer unerschütterlichen Gewissheit darüber zu finden, was ungeboren da ist in allem Geborenen, ewig in allem Zeitlichen, unendlich in allem Endlichen!

Wenn also der Weg aus der Praxis der Stille hinausgeführt hat: Lassen Sie sich einladen, noch einmal neu zu beginnen. Nehmen Sie sich einen halben Tag Zeit – das ist kein Luxus. Anfängliche Widerstände sind dabei ganz normal und verschwinden oft schnell. Schauen Sie freundlich in den Spiegel des Inneren. Lauschen Sie auf das „Willkommen“, das von dort kommt. Und lassen Sie uns, gerade jetzt im Zugehen auf Ostern, mehr und mehr zu Hoffenden und Bittenden werden, dass das neue unfassbare Leben sich entfalten kann: in jedem einzelnen und inmitten von „Leben aus der Mitte“.

P. Paul

Fotos Inge Hausen-Müller