Neu Geboren
Diese Erfahrung und ihr Ausdruck sind bekannt – vielleicht nach einem erfrischenden Bad, einem klärenden Gespräch, einem erholsamen Urlaub, einer Fastenkur – und oft ganz intensiv nach einem mehrtägigen Verweilen in der Stille:
Der Himmel sieht wie geputzt aus, das Innere ist aufgeräumt – und alle Dinge erscheinen kostbar, wie leuchtend, transparent, verbunden.
Es ist dann nicht nur ein Bild „Wie neu geboren“.
Es ist Realität.
Etwas ist geschehen – auch, wenn ich es nicht in Worte fassen kann.
Ostern ist das Fest der Neugeburt schlechthin.
Das Leben, das sich in Jesus Christus am Kreuz verschenkt hat, hat den Tod „verschlungen“ – oder besser: in sich aufgenommen.
Der Tod ist nicht mehr Feind des Lebens, sondern das Tor zum Leben in Fülle. Jesus selbst spricht im Johannes-Evangelium davon, dass es im wahrsten Sinne des Wortes notwendig ist, von Neuem geboren zu werden.
Das Grundsakrament der Taufe, das ja zutiefst mit dem Osterfest verbunden ist, wirkt in seiner eigenen wirkmächtigen Symbolik: ins Wasser untertauchen, quasi „sterben“ und als „neuer Mensch“, als Schöpfung in Christus auferstehen. Den alten Menschen aus- und den neuen anziehen. Die alte Identität verlieren und das „wahre Wesen“ in mir zum Leben und Wirken kommen lassen.
Für Christen kann das heißen: Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.
Mit diesem „Nicht“ – der Verneinung all dessen, was ich bisher als das „Meine“ betrachtet habe – berühren sich die Traditionen von West und Ost, Christentum und Zen-Buddhismus. Auch hier ist von „Neu geboren“ die Rede, vom „Nicht-Selbst“, von der „leeren Mitte“ – womit in negativer Sprache zum Ausdruck kommt, dass der Mensch ein Unendlichkeits-Wesen ist.
Aber wie kann das geschehen? Die Frage lenkt den Blick auf das Kreuz.
Die Grundhaltung des Gekreuzigten war, nicht festzuhalten – loszulassen. Entäußerung nennt das die Bibel. Und sie spricht von den Geburtswehen, in denen die ganze Schöpfung liegt, damit das Neue offenbar werden kann.
Wieder ein Punkt, in dem sich die Traditionen berühren: In dem auf Worte, Begriffe, Bilder und eigenen Status verzichtende Schweigen wird der Mensch empfänglich für das, was er nicht machen, sondern nur empfangen kann.
Das ist nicht – wie leider oft missverstanden – ein kaltes, liebloses „Sitzen und Nichts-machen“. Es ist eine Stille, welche sich im geduldigen Loslassen mit immer tieferen Schichten („Wehen“) verbunden weiß mit allem, was geschieht.
Je mehr die eigene alte Identität, das begehrende Ich, stirbt, umso mehr ist Raum für sich hingebende Liebe.
Das ist menschenmöglich. Es gehört zum menschlichen Potenzial, das freigelegt werden will. Und es hat – Leben wie neu geboren – natürlich Auswirkungen auf unser Tun.
Freilich kommt das Tun dann nicht mehr als erstes:
„Die Menschen sollen nicht so viel nachdenken, was sie tun sollen, sie sollen vielmehr bedenken, was sie sind.“, sagte einmal Meister Eckhart. Daraus resultiert ein anderes, nicht durch Streben nach Erfolg, Macht oder Anerkennung geleitetes Tun – ein Tun, das mit allen persönlichen Gaben und Fähigkeiten sich einbringt, von Moment zu Moment, ganz nahe an der Wirklichkeit, wie sie sich zeigt.
Jetzt – in einer Zeit zunehmender Verwirrung und Polarisierung – scheint es, als ob die Menschheit eingeladen ist, den Weg des Herausgehens aus dem Eigenen, dem begrenzten Ich, hin zur wahren österlichen Identität mit aller Entschiedenheit und allem Vertrauen zu gehen.
Möge unser Programm dazu einen Impuls geben, gerade jetzt. Aus der Stille des Ostersesshins wünschen wir Ihnen von Herzen die österliche Erfahrung von Leben in Fülle!
P. Paul