Kontemplativ leben
Im kommenden Januar jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag von Thomas Merton. Es lohnt sich, an ihn zu erinnern – hat er doch sein ganzes Leben der Suche nach der Verbindung von Meditation und Alltag, Kontemplation und Aktion gewidmet. Für viele Menschen war und ist er Sprachgeber der eigenen Sehnsucht nach Ganzheit, nach Lebensfülle aus dem Schweigen.
1915 in Frankreich geboren, wuchs er in den USA auf, wandte sich während seiner Literatur-Studien der katholischen Kirche zu und trat dann, einem inneren Ruf folgend, ins Kloster Gethsemani der Trappisten (eine besonders strenge Richtung der Karmeliten) in Kentucky ein. Von dort, aus der Stille und dem Leben in monastischer Gemeinschaft, vernetzte er sich über Briefe und Veröffentlichungen mit vielen Großen der damaligen Politik, Gesellschaft und Kirche.
Schon sehr früh interessierte er sich für die Religionen des Ostens. Der Zen-Weg war ihm vertraut und gehörte, laut eigener Aussage, ganz selbstverständlich zu seinem Leben. Er sah darin viele Parallelen zu Erfahrungen christlicher Wüstenväter und zur Lehre des hl. Johannes vom Kreuz. Auch wenn er die meiste Zeit seines Lebens im Kloster verbrachte, so war es doch sein großes Anliegen, Kontemplation als Lebensstil für alle aufzuzeigen. Stille und verantwortliches Handeln, so Merton, gehören zusammen. So war er für viele Friedensaktivisten seiner Zeit eine moralische Stütze. Als einer der ersten Katholiken in den Vereinigten Staaten protestierte er gegen die in seinen Augen unmenschliche Vietnampolitik. Wie P. Lassalle beklagte er den Niedergang von Werten in der westlichen Welt und erwartete von der Begegnung zwischen Christentum und den Religionen des Ostens eine gegenseitige Befruchtung, eine Verstärkung des Friedenswillens, ein gegenseitiges Erwecken der jeweils eigenen höchsten Güter.
P. Lassalle wusste sich in vielem eines Sinnes mit Merton. Er begegnete ihm persönlich nur am letzten Tag von Mertons Leben, als beide in Bangkok an einer interreligiösen Tagung von Mönchen teilnahmen. Merton hatte sich durch die Reise den Wunsch erfüllt, einmal persönlich den Osten kennen zu lernen und dort spirituellen Wahrheitssuchern verschiedener Religionen zu begegnen. Am Nachmittag nach seinem Vortrag verstarb er, nur 53jährig, wohl infolge eines Stromschlages im Hotelzimmer. Mit vielen anderen, die über seinen plötzlichen Tod betroffen waren, hielt P. Lassalle Nachtwache, bis Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft kamen, um den Leichnam zu überführen – so schreibt Ursula Baatz in ihrer Lassalle-Biografie. Frucht seines Todes ist es wohl, dass in Bangkok das erste christliche Kloster in Thailand entstand; Lassalle hat zudem immer wieder im Kloster Mertons in den USA Vorträge über Zen gehalten.
Sesshin ohne Ende – das lässt sich ganz im Sinne Mertons in großen Lettern über das Leben aus der Mitte schreiben.
Die Zeit der Stille verleiht Sensibilität und Kraft: Empfänglichkeit für die kleinen Wunder jeden Tages; Entschiedenheit für anstehende Fragen und Engagements; liebevolle Gelassenheit zum Tragen und Mittragen; leidenschaftliche Entschlossenheit auch zum notwendigen Widerspruch. Dass vor einer solchen motivierenden Kraft auch monströse Mauern weich werden, das haben zu Recht Hunderttausende vor wenigen Tagen in Berlin gefeiert!
P. Paul