Gottes Versöhnung für alle – der große Oster-Batzen

Ein kurzer, aber heftiger Aufenthalt im Krankenhaus hat mich für einige Tage dem gewohnten Alltag entrissen. Ich wurde auf einmal konfrontiert mit der eigenen Schwäche und Endlichkeit, mit dem oft unerklärlichen Leid vieler Menschen, mit der mich anrührenden Sorge von Pflegern und Ärzten.
Mittlerweile wieder zu Hause und wohlauf, frage ich: Wo ist Gott hier?

Die christliche Antwort lautet: Mittendrin. Er leidet, sorgt, hofft mit.
Das war und ist bis heute für viele Menschen undenkbar: Gott und Leid miteinander verbinden. Kann Gott leiden? Steht er nicht über dem Leid der Menschen? Haben die Menschen nicht ihr Leid selbst verursacht? Oder ist das Leid nicht vielmehr eine Strafe, von Gott geschickt? Bis hinein in die oft kruden Annahmen über die Ursache der gegenwärtigen Pandemie ziehen sich solche in uns festsitzenden Vorstellungen.

Leider sind auch Christen dieser Versuchung nicht entgangen, das österliche Geschehen so zu sehen, als ob damit eine von Gott wegen der Sünde der Menschen verhängte Strafe von Jesus „gesühnt“ wird. Aber widerspricht das nicht vollkommen dem, was Jesus in seinem Leben gezeigt hat? Er wollte heilen, nicht richten. Wir Menschen dagegen suchen für alles einen Schuldigen, einen Sündenbock. So wie in der alten buddhistischen Geschichte vom vergifteten Pfeil, der jemand trifft. Die verletzte Person fragt als erstes danach, wer den Pfeil geschossen hat und warum, wer schuld ist an ihrer unverschuldeten Misere. Bis diese Fragen beantwortet sind, stirbt sie – anstatt als erstes den Pfeil aus dem Fleisch zu ziehen und die Wunde zu desinfizieren.

Lasst uns nicht über Kreuz und Auferstehung sprechen in den Dimensionen von Genugtuung, Gericht, Urteil.
Im Kreuz nimmt Gott unsere Welt an – mit all ihren Spannungen und Widersprüchen. Er umarmt sie mit seiner grenzenlosen Liebe. Er löst ihre Trennungen auf. Er selbst hängt zwischen Himmel und Erde. Er leidet mit. Indem er so hineingeht in die Zerrissenheit, verwandelt er und lädt zur Verwandlung ein. So öffnet sich an Ostern ein weiter Raum der Versöhnung für alle Menschen. Die österliche Liebe Gottes meint alle, wirklich alle Menschen, die ganze Welt, jeglicher Ort auf dem Globus, jeglicher Moment in der Geschichte von Millionen Jahren, den „großen Batzen“, wie der Autor der „Wolke des Nichtwissens“ sagt.
In diesem „für euch und für alle“ steckt ein gewaltiger Perspektivwechsel. Es geht nicht in erster Linie um „ich“ und „mein“. Es geht um „mit“ und „in“. Mit den Menschen, in unserer ganzen Schöpfung. Gott schließt niemand und nichts aus – das machen höchstens wir Menschen.

Vielleicht ist ja die zweite Osterfeier in Zeiten globaler Pandemie genau die Einladung, die uns dieses faszinierende Angebot neu erschließen kann: Das Denken und Fühlen nicht in erster Linie darum kreisen zu lassen, wann und womit ich denn endlich geimpft werde; mich in täglichen Wellen immer wieder neu aufzuregen über jene, die sich nicht an die Vorschriften halten.

Die Frage ist doch vielmehr: Kann unsere Gesellschaft, können Menschen weltweit durch diese Herausforderung mehr zusammenwachsen? Kann ich denen nahe sein, die in dieser Zeit besondere Lasten zu tragen haben? Nähre ich in mir die Überzeugung, dass das Leben in allen und für alle stärker ist als jegliche Weltuntergangs-Prophetie?

Dann sind wir Ostern sehr nahe; wissen uns eingeladen, an uns geschehen zu lassen, dass Leben und Tod nicht zu trennen sind, dass Leben im Tod zu finden ist.
Eingeladen – nicht gezwungen – in aller Freiheit der Liebe. Eingeladen, weich und offen zu werden. Eingeladen, mitzuleiden wie Gott mitleidet. Solidarisch, auch widerständig gegen alle Unmenschlichkeit. Eingeladen, damit aufzuhören, Schuldige zu suchen. Eingeladen, die unbändige Kraft österlichen Lebens in uns wirken zu lassen. Freilich nicht so, als ob ich in mir diese Kraft als eigene Stärke empfinde: Das wäre ja wieder die Logik des ego-zentrierten Individuums. Da, wo ich mich als Teil des Ganzen, wo ich das „Universum in mir“ sehe, da fließt der Lebensstrom durch mich; ich lasse zu, dass es geschieht.

Von Herzen wünsche ich Ihnen allen, dass Sie österliche Momente erleben dürfen, in denen das Herz bebt und jubelt. Was jedem und jeder einzelnen geschenkt wird, das ist Gabe für alle. Denn wir sind eins – „der große Batzen“.

Zu meiner persönlichen Osterfreude gehört der Blick nach vorn, auf die ersten wieder in Präsenz stattfindenden Sesshins, spätestens wohl im Mai. Wir haben alternative Häuser gefunden zur Durchführung. Aber wie das im Einzelnen sich jetzt darstellt und wie es um unser geliebtes Kardinal-Hengsbach-Haus bestellt ist, darüber wird es demnächst eine eigene Mitteilung geben.

Herzlich, Ihr
P. Paul

Fotos Inge Hausen-Müller