Eins im Erbarmen
Es ist eine Freude, mit unserer Gruppe in Rom zu meditieren. Südländisches Lebenstemperament mischt sich mit großer Entschiedenheit, der Stille Raum zu geben. So durfte ich am Sonntag, 2. März, einen Zazenkai begleiten, zu dem 22 TeilnehmerInnen kamen.
Am meisten hallen in meiner Erinnerung die Worte eines Mannes nach, der – selbst nicht mehr ganz jung – Anfang des Jahres zum ersten Mal Vater geworden ist. Seine Freude über das neu geborene Leben war so groß, dass ihm sofort, als er davon erzählte, die Tränen kamen. Er spüre im eigenen Inneren, so sagte er, die Zerbrechlichkeit des Lebens, den Schmerz (bei den zurzeit regelmäßigen Magenschmerzen der Kleinen) wie auch die unbändige Lebensfreude, die immer wieder zum Ausdruck kommt.
Wenn wir uns in der Meditation “aufrichten und lassen”, dann verändern sich auch die bisherigen Grenzen. Das kleine, begrenzte, auf Abgrenzung bedachte “Ich” tritt zurück, macht der Freude wie auch der Verantwortlichkeit eines größeren “ICH” Platz, das in den Gelöbnissen die mit dem Verstand nur schwer nachvollziehbaren Worte spricht: “Die Geschöpfe sind zahllos, ich gelobe sie alle zu retten.”
Ein Baby ist wie ein Katalysator, der uns die Wesens-Wirklichkeit bewusst macht und uns sie spüren, erleben lässt. Die ganze Kostbarkeit, Lebendigkeit und grenzenlose Schönheit des Lebens steht auf einmal offen. Und es handelt sich nicht um eine vorüber gehende Sinnestäuschung, welche dem Alltag nicht gewachsen ist. Gerade die Gegenwart mit ihren vielen, auch geografisch näher rückenden Konfliktfeldern, darunter zurzeit die Ukraine, verlangt danach, dass wir uns in rechter Weise sehen: nicht als jammernde, resignierende Zuschauer, sondern als dazu gehörig, eins, gerufen und begabt, unseren Einfluss geltend zu machen.
Welchen Einfluss? Es geht um die Kraft des Erbarmens, die in uns darauf wartet, angesprochen und geweckt zu werden. Dies geschieht in der Übung der Stille, so dass ich nach einer Intensivzeit, wie etwa einem Sesshin, etwas “in der Ferne” Geschehenes sehen kann und mich betroffen, berührt fühle. Die aus dieser Berührung erwachsende Sehnsucht nach Frieden hat eine über das Denken hinausgehende Reichweite und Wirkung. Es ist kein Machen, es ist auch nicht nur das heute als so wichtig erachtete “Vernetzt-Sein”, es ist einfach das, was ist: eins.
Spaziergänge in Rom sind eine gute Möglichkeit, mich über Grenzen von Hautfarbe, Sprache, Nationalität hinaus in diese Einheit einzuleben. Aber jeder Mann und jede Frau wird im eigenen Umfeld dieser Spur folgen können, ist sie einmal entdeckt.
Für Christen ist es die Lebenshingabe Jesu am Kreuz. Er hat so gelebt und ist so gestorben für alle, dass er jetzt eins ist mit allem: “Auf ihn hin ist die ganze Schöpfung, in ihm hat alles Bestand” (Hymnus Kolosserbrief).
P. Paul