Eine Weise der Bereitung
Für Übende auf dem Weg der Zen-Kontemplation möchte Ostern nicht nur ein Kalendertag mit einigen Besonderheiten sein. Nachdem ich gestern die Bilder aus Japan sah, die wohl jeder nur mit Entsetzen sehen konnte, habe ich mich gefragt, was diese Schreckens-Szenarien für uns bedeuten. Als ich so auch einige Zen-Lehrer fragte, bekam ich den Impuls, mich 30 Minuten auf mein Kissen zu setzen. Danach hatte ich das Gefühl: Das war das Beste, das ich auf diese Frage hin tun konnte. Und ich fragte mich, ob dies nicht meine beste Bereitung auf Ostern sein könnte, mich mit dieser Frage zu setzen.
Und meine Antwort?
Keine Antwort, aber die Gewissheit, dass es nicht um eine Antwort geht, sondern darum, dass mir diese Frage, dieses Weltereignis, zu meiner Frage werde, dass ich dieses Ereignis ein Ereignis in mirwerden lasse.
Was bedeutet dieses Ereignis für mich? Für uns hier in 12 000 km Entfernung von dem Kraftwerk Fukushima I, von der Stadt Sendai und einem Land mit einem Alltag voller existentieller Unsicherheiten und diesen ungeheuren Verlusterlebnissen? Eine Prophetie?
Es kann gewiss nicht dies sein, dass mich diese Frage in einen Sog der Depression hinein reißen soll. Sog, ein gutes Wort! Ein Sog zu meinem Wahren Wesen!
Ein erstaunliches Wort von Benedikt XVI. heißt: “Wir müssen uns bekehren zu unserer Identität.” Wenn ich eins bin mit meinem Wahren Wesen sind die Dinge, wie sie sind. Ich leide an den Dingen, aber ich muss nicht verzweifeln. Ich bin hilflos, aber die Weise meiner Hilflosigkeit bleibt nicht ohne Wirkung. In der Wirklichkeit meines Wahren Wesens gelten andere Gesetze der Kommunikation. Wenn ich mich bekehre zu meiner Identität, werde ich auf andere Weise getröstet und auch selbst befähigt, in anderer Weise und immer zu trösten.
Und es kann auch dies sein: Die Ereignisse in Japan können einem Menschen in gewisser Situation nicht das Schwerste sein. Es kann auch sein, dass jemandem eine gebrochene Beziehung in diesen Tagen zu einem leidvolleren Erlebnis wird als das Leiden von Millionen. Oder der gefährdete oder verlorene Arbeitsplatz zu einer drängenderen Frage als Szenarien des Schreckens irgendwo.
Leid bleibt Leid. Aber wenn ich leiden muss und im Unabwendbaren eins werde mit mir selbst, meinem Wahren Wesen, so wird mir im Leiden ein Trost – ich weiß nicht wie, aber ich weiß, dass es so sein kann.
Unvergesslich die Lehre beim Besuch einer kranken Pallottinerschwester. Ich fragte: “Wie kommt es, dass Sie so fröhlich sind?” – “Ja, sehen Sie,”, sagte sie, “ich bin seit 15 Jahren gelähmt und kann nichts tun. Aber ich atme. Atmen muss ich ja sowieso, und so atme ich für den lieben Gott. Und das ist so schön.”
Wer hat schon die Gnade, so zu atmen? Aber ist es nicht schon eine Gnade, zu atmen? Und das könnte doch österliche Bereitung sein: Atmen, nichts tun, als atmen. Den Atem zum größten Ereignis werden lassen, sich hineingeben, sich hineinlieben in den Atem. Sich dafür eine Zeit gönnen – auf Kissen, Bänkchen, Stuhl oder auch im Liegen.
Ob es dann nicht auch sein könnte, dass jemand fragt: “Wie kommt es, dass Sie so fröhlich sind?”
Wenn mich jetzt jemand fragt: “Warum sind Sie denn nicht fröhlich?”, so muss ich antworten: “Wie kann ich fröhlich sein? Mit meinem Herzen bin ich dort bei den Menschen in Japan und bei meinen Freunden in Tokio.”
Eine E-Mail hat mich erreicht von einer Ordensschwester aus Tokio mit der Bitte: “Betet für uns!”