Ein halber Zentimeter Advent
Auf unserem Esstisch steht seit einigen Tagen eine Kerze, rot mit einigen adventlichen Symbolen. In ihrer Länge sind Maße angegeben von 1 bis 25 jeweils in einem Halbzentimeter Abstand. Also ein Programm: Bis zum 25. des Monats soll die Kerze täglich einen halben Zentimeter lang brennen – so meine Deutung, als sie heute beim Mittagessen leuchtete.
Täglich ein halber Zentimeter Advent.
Täglich soll mir eine Zeitlang Adventslicht leuchten.
Diese Kerze, ein Symbol dafür, dass ich in mir bis zu Weihnacht ein Adventslicht brennen und leuchten lasse – in dieser “besinnlichen” Adventszeit, in der doch alles Besinnliche verzehrt wird in Geschäf- tigkeit mit Besorgung der Geschenke, der Weihnachtspost und Vorbereitung auf das Fest. Dazu noch die aufregenden Nachrichten von Krieg und Unrecht und Katastrophen in aller Welt.
Wie ist es möglich, in all dem die Zeit und die Ruhe zu finden, um einen halben Zentimeter Adventslicht in sich leuchten zu lassen? Wie?
Wäre dies nicht vergeudete Zeit in all dem doch so dringend Anstehenden, für das mir ohnedies die notwendige Zeit fehlt, weshalb mir auch abends immer noch etwas einfällt, das ich eigentlich tun wollte und wozu ich – weil mir die Zeit fehlte – nicht gekommen bin.
Wie wichtig soll mir bei all dem die Zeit sein für einen halben Zentimeter Kerzenlicht – Adventslicht – in mir? Eine schwere Frage.
Auf diese Frage hin keinen Rat, keine Empfehlung, sondern ein Faktum: Vom 5. bis 9. Dezember haben sich vierzig Menschen zur Teilnahme an einem Sesshin im Kardinal-Hengsbach-Haus in Essen entschlossen.
In diesem Programm lassen sie viele Zentimeter Kerzenlicht brennen.
Keine Einkäufe, keine Vorbereitungen auf das Fest und keine Steuererklärungen. Sie alle lassen nur das Adventslicht in sich brennen, die ganze Zeit darauf bedacht, in diesem Licht den Weg zu finden für die Ankunft bei sich selbst, in der sie eins werden mit sich – und mehr und mehr begreifen, was das ist, wenn eins in das andere übergeht: Wenn in der Selbstfindung auch Gott gefunden wird und wenn wir in Gott uns selber finden.
Jeder, der an einem Sesshin, an Tagen in solcher Stille, teilnimmt, weiß dass das Licht des Advents auch im Alltag und in voller Geschäftigkeit in ihm leuchten kann und will. Das Licht im Alltäglichen leuchten zu lassen, ist der eigentliche Weg, denn: Der Alltag ist der Weg.
Meine Mutter hat sich in ihrer Sorge für sieben Kinder im Advent nie Tage der Stille für sich frei genommen und konnte ihrer Familie eine mir unvergesslich schöne Advents- und Weihnachtszeit bereiten. Ihr Licht leuchtet mir heute noch für den Weg zur großen Ankunft.
Das ist auch unsere Weise, dieses Advents-Sesshin zu erleben: Das Licht in diesem halben Zentimeter sei ein Symbol für das Licht im Sesshin wie im Alltag. Und wer möchte in diesen Tagen nicht Licht sein?
P. Johannes