Ehre sei Gott in der Tiefe

Menschen stellen sich Gott in der Höhe vor, oben, im Himmel, weit weg, vollkommen, rein, allmächtig. Entsprechend sind oft auch die Gefühle vor dem Fest der Menschwerdung Gottes. Dass alle Probleme gelöst, Ungerechtigkeiten beseitigt werden, dass es im Kleinen und Großen doch wieder friedlich und harmonisch zugehen soll, dass die Träume der Kindheit endlich in Erfüllung gehen, dass die Sorgen und Nöte des Alltags wenigstens für ein paar Tage einmal keine Rolle mehr spielen.

Doch eigentlich ist das nicht das Gottesbild. Gott räumt nicht auf. Er greift nicht ins menschliche Leben ein wie ein „Deus ex machina“, der aus dem Nichts auf die Bühne tritt und in seiner Allmacht alles wieder ins rechte Lot rückt. So ist er nicht. So ist die Liebe nicht.
„Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“, wird das Christus-Kind später einmal sagen. Und wird dabei von sich selbst sprechen.
In ihm gibt Gott sich hinein in unsere Tiefen, unsere Dunkelheiten. Er lässt sich finden nicht mehr so sehr in der Höhe als vielmehr da unten, wo wir gar nicht gerne hinschauen. Er zeigt sich in Menschengestalt und verbirgt sich zugleich in dem, was wir Gewöhnlichkeit nennen, was wir so gerne entwerten. Dem gibt er einen neuen grenzenlosen Wert, macht es zum Eingangstor für Licht und Leben: der Ruf eines Kindes genau wie der Blick eines Sterbenden, die Geste überraschender Hilfsbereitschaft wie die Bereitschaft, auf vermeintliches Recht und Vergeltung zu verzichten, jegliches Beschenken, in dem der Geber sich selbst mit zur Gabe gibt.

Es waren die Hirten und Sterndeuter, welche ganz außerhalb von Stadt und Behausung das Kind fanden. Im Stall wurde er geboren, außerhalb der Stadt Jerusalem wird man ihn umbringen, kreuzigen. Die Ikone, das Christusbild der Ostkirche zeichnet die Krippe in Form eines kleinen Sarges. Ohne diesen Blick auf Ostern ist Weihnachten nur ein Fest menschlichen guten Willens. Dann fehlt das eigentlich Revolutionäre, in dem oben und unten, Gott und Mensch, einen „heiligen Tausch“ eingehen.
Der Mensch, jeder Mensch, hat Anteil am Wesen unendlicher Liebe, trägt in sich unveräußerliche, unsterbliche Würde. In der Anerkenntnis dieser Würde, mitten im Unvollkommenen, Unerfüllten, noch nicht Fertigen, da finden wir uns selbst und da finden wir Gott. Da geben wir der Wirklichkeit die Ehre, die ihr gebührt. Da kann es sein, dass plötzlich ein Glanz leuchtet in allem; aber genauso kann es sein, dass – auch in den kommenden Tagen – ich mich als vertrauend und wartend, ohne den Zuckerguss großer Gefühle, erlebe.

Von Herzen danke ich allen Weggefährtinnen und Weggefährten des Programms “Leben aus der Mitte – Zen-Kontemplation” für das Miteinander dieses Jahres, im liebevollen aneinander Denken, oft auch nebeneinander sitzend in der Stille. Wird einer erleuchtet, so wird das Universum erleuchtet, sagte ein Zen-Meister. Und das gilt wohl nicht nur für die „großen“ Erfahrungen und Meilensteine des Weges.

Ihnen und allen an Ihrer Seite wünsche ich eine liebevolle Weihnacht, dass wir mitten in unseren Leben gegenwärtig sind in Seiner Gegenwart.

P. Paul

Fotos Inge Hausen-Müller