DU

Sommerzeit, Wärme, Ferien, Begegnungen im Freien, zwanglos sich ergebende Gespräche, Zeit füreinander.
Wir sind auf Dialog hin angelegt, auf das fließende Hin und Her des Austauschs, aufs Hören und Verstanden-Werden.
Das Instrumentarium dafür ist nicht nur das sachliche Medium der Sprache – es ist eine Freude, den anderen ganzheitlich wahrzunehmen, mit der Folge, dass er immer weniger der Andere ist und immer mehr zum Nächsten wird.
Der Ausdruck „Nächste/r“ beinhaltet, dass es nicht um ein Bild geht, das ich mir vom Gegenüber gemacht habe; dass es vielmehr um das konkrete Hier und Jetzt der Situation geht, in der die Verbundenheit, das Miteinander, bereits angelegt ist und nur darauf wartet, sich entfalten zu können.

Dass der Mensch am Du zum Ich wird, erkannte schon Martin Buber. Die jüdische wie die christliche Tradition verbinden mit dem Du die vertraute Ansprache der unendlichen Wirklichkeit.
Weltweit steht dafür das Du des „Vater unser“, in dem Menschen Gott mit dem innigen „Abba“ ansprechen, wie Jesus selbst es getan hat. Dabei geschieht keinesfalls, noch weniger als im mitmenschlichen Dialog, eine Trennung zwischen Ich und Du. Vielmehr lässt sich dieses Du als ein liebender Resonanzraum beschreiben, in den hinein das Ich des Betenden sich gibt und aus dem heraus er sich empfängt, alle Worte übersteigend, so wie es im lebendigen Rhythmus des Atems geschieht. „Gebet als Selbstgespräch“, wie Pater Johannes es benannte.

Auch das Zen-Sitzen in der Stille ist nicht auf ein Du-loses Ich konzentriert. Die Aufmerksamkeit fokussiert sich auf die Instanz des Inneren, die größer ist als alles Begreifen und die darauf wartet, ohne Worte angesprochen zu werden.
Ein reales Bild dafür ist der Grund, dem der Meditierende sich überlässt. Je mehr er sich dem konkreten Boden anvertraut, umso deutlicher wird die Wirklichkeit des tragenden Grundes, der nicht nur unter den Füßen, sondern im Gesamt des Spürens einfach da ist.

In vielen Koans leuchtet dieses dialogische Prinzip durch in Form von kurzen Gesprächen. So ruft Meister Zuigan im 12. Koan der Mumonkan-Sammlung sich jeden Morgen „Meister“ zu und antwortet selbst darauf mit „Ja“. Muss er sich etwa auf diese Weise daran erinnern, dass er ein „Meister“ ist? Keinesfalls. Mit der Ansprache „Meister“ übergibt er sich mit Haut und Haaren jener Instanz, die immer meisterlicher ist als er selbst; er verschwindet quasi mit seinem begrenzten Ich im Du, das jegliches Ich umgreift. Das darauf folgende Ja ist die Resonanz, die Bestätigung, die ihm aus diesem Raum entgegenkommt. Es ist ein Ja, das aus dem Mund der ganzen Schöpfung ertönt. In einem solchen Dialog vertieft sich das Eins-Sein. Der Rufende wird „ganz wach“.

Ich wünsche uns von Herzen Freude im Miteinander, im Treffen von Freunden, im alltäglichen Lösen von Fragen, Problemen und Spannungen, im überraschenden Hören des Du, das mich ganz meint und anspricht. Ich wünsche uns in der Freizeit die Freiheit, immer wieder in der Stille einfach da zu sein, uns zu verschenken und wahrzunehmen, was uns aus der Stille entgegenkommt.

P. Paul

 

Fotos: Inge Hausen-Müller