Aller Heiligen
Biblisch gesehen war es schon immer deutlich, dass mit „Heilige“ nicht nur die wenigen, exemplarisch „heilig gesprochenen“ Christen gemeint sind, sondern alle, die aus Glauben und Vertrauen leben. Und manchmal können wir das auch erleben, das Heile und Ganze – in mir und in den anderen.
Beim Ausflug des Freundeskreises am Sonntag, dem 8. Oktober, war eine solche Gelegenheit frohen Miteinanders. In gelöster Atmosphäre ging es von Essen nach Vallendar (eine mir nicht ganz unbekannte Strecke …).
Der Regen machte immer dann eine Pause, wenn wir ausstiegen, und in einigen Momenten lugte sogar die Sonne hervor.
An unserer Hochschule hatten wir Gottesdienst und Stärkung beim Mahl, bevor dann in Limburg der Besuch am Grab von P. Johannes anstand und uns Bruder Hans-Gerd Stüer – mit 74 Jahren einer der zurzeit jüngeren Pallottiner dort – in seiner lebendigen Weise von der Geschichte des Hauses erzählte und einige Begebenheiten aus den letzten Lebensmonaten von P. Johannes in Erinnerung rief. Dieser hatte ja nach Befreiung aus der Kriegsgefangenschaft und der Ausbildung zum Schauspieler in Limburg als Spätberufener sein Abitur gemacht mit dem Lebensziel, Theologie zu studieren, Pallottiner und Priester zu werden.
Jetzt, wenige Tage vor Allerheiligen feierten wir als deutschsprachige pallottinische Gemeinschaft an diesem Ort „125 Jahre in Deutschland“. Mitbrüder aus der ganzen Welt – aus Österreich, Schweiz, Kroatien, Spanien, Kamerun, Südafrika, Nigeria, Indien – schauten dankbar auf den großen, weit verzweigten „Baum“, der aus den einfachen Anfängen einer in Afrika tätigen Missionsgemeinschaft geworden ist. Freilich – das ehemals so lebendige Haus mit seinen auch handwerklichen Aktivitäten der Brüder ist zu einer Seniorenstation geworden. Ein großer Teil der ehemals durch Werkstätten bebauten Fläche ist verkauft. Bürogebäude, Musikschule und bald auch ein Lebensmittelladen stehen darauf. Und unsere alten und pflegebedürftigen Mitbrüder erzählen uns oft und gerne aus ihrem Leben; sie versuchen dadurch, es „gut sein zu lassen“, in allem Unvollkommenen das „Heile und Ganze“ zu entdecken: eine Sehnsucht, die wir aus der Übung der Stille in der Zen-Kontemplation gut kennen.
Ist das nicht etwas, gerade im Dunkel dieser Jahreszeit, sehr Tröstliches, dass heil und heilig (ein sehr missverständliches und auch missverstandenes Wort!) nicht im nach Außen hin runden, gelungenen, erfolgreichen Schein besteht? Dass vielmehr im oft verletzten, überraschend anders gelaufenen Leben, an den Bruch-Stellen, in der mühsam aufrecht gehaltenen Hoffnung, im Tasten durch den Nebel des Unbekannten, im Standhalten gegenüber der Angst die unendliche Wirklichkeit der Liebe durchscheint, transparent wird?
An diesem durch die Feiertage des Reformationsgedenkens und Allerheiligen verlängerten Wochenende leitet Klaus Appelmann ein Sesshin. Aus Altersgründen, so ist es seine Entscheidung, wird es (vorläufig?) sein letztes sein. Im Dokusan wird er auch weiterhin an den Donnerstagabenden mit seiner reichen Erfahrung begleiten. Mein herzlicher Dank gilt ihm. Und mein Dank gilt allen älteren und alten TeilnehmerInnen unseres Programms, die auf ihre Weise mittragen – ob sie noch nach Werden zum Zendo kommen oder nicht. Denn auch dies ist wahr: Um ganz, um heil zu werden, brauchen wir einander.
P. Paul