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FREUDE, GROSSE

2016-weih4Sie gehört zu Weihnachten wie das Kind und die Krippe und die Suche nach Herberge. Sie ist nicht zu verwechseln mit „Spaß“. Sie ist anders als die vielen kleinen Freuden, die alle in einer äußeren Ursache ihren Grund haben. Dieser Grund ist nicht tief, dieses Wasser ist seicht. Zu schnell unterliegt es unvorhersehbaren Veränderungen.

GROSSE FREUDE ist grundlos, nicht als Freude über etwas. Sie ist machtlos und zugleich entmachtet sie, besiegt alle Winkelzüge des Verstandes, fegt so viele „Bedenken“ vom Tisch. Sie ist unverdient, kein Mensch kann sie machen oder mit Gewalt herbeiführen. Sie grenzt niemand und nichts aus, keine Situation, auch kein Leid, keinen Schmerz. Oft erfüllt sie das Innere nach hartem Ringen um Wandlung, wie die Wehen einer Geburt. Wie ein Licht in dunkler Nacht, wie der Morgenstern, lange und sehnsuchtsvoll erwartet. Sie überwiegt alles Schwere, gibt dem Inneren Flügel.

Das Fest, an dem Jesus Christus in uns zur Welt kommen will, weiß um diese Freude. Sie kommt uns entgegen aus dem eigenen Grund, der zur Krippe geworden ist. Sie lässt uns wahrhaft Menschen sein, ausgestreckt zwischen Erde und Himmel. Sie weckt in uns eine über alles menschliche Vermögen hinausgehende Möglichkeit des Wirkens, die aus dem unendlichen Grund heraus fließt, natürlich, absichtslos, zum Segen für viele.

„Mach uns empfänglich für alles, was du uns in diesen Tagen zugedacht hast“, heißt es im Tischgebet zu Beginn eines Sesshin. Mach uns empfänglich für diese Freude!

Zusammen mit allen Teilnehmern und Teilgebern des Weihnachts-Sesshins, zusammen mit P. Johannes, wünsche ich Ihnen und den Menschen an Ihrer Seite von Herzen, dass GROSSE FREUDE in diesen Tagen Sie erfüllt und Ihr Leben erhellt. Lassen Sie uns in der gemeinsamen Übung der Stille einander verbunden sein.

P. Paul

 

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Fotos: Inge Hausen-Müller

Ganz Ohr werden

hoeren4Es ist wichtig, innezuhalten, zu hören. Gerade in einer Situation, die uns durch wachsende Unsicherheit und Umbrüche Angst macht. Denn was im Makrokosmos, in der großen Welt, geschieht, das spiegelt sich ja im Mikrokosmos, in unserem Inneren – bis hinein in die letzte Zelle des Leibes. Unüberhörbar ruft unsere Zeit nach einem neuen Bewusstsein. Der Übergang dazu erscheint oft wie ein freier Fall, ein Gestoßen-werden ins Niemandsland. Trägt der Grund noch?

Dazu muss ich mich setzen und den Schmerz zulassen – die Traurigkeit über die vielfache Zerstörung von Leben, Hoffnungen, Psychen, Familien, Heimat. Den Mut haben, mich mit diesem Schmerz aus- und hinzuhalten. Mich auszusetzen, ohne zu wissen, ohne die Lösung zu kennen. Das ist Trost – nicht zuerst im Empfangen, sondern im Geben. In der Stille nähre ich das Hoffnungs-Reservoir der Menschheit.

Dabei gilt es, zu lauschen. Auf die vielen Stimmen, die zur Ruhe kommen wollen. Ohnmacht, Hilflosigkeit, Bitterkeit, Resignation, Verwirrung und das unstillbare Bedürfnis nach Sicherheit – all dies ist da und darf es sein.

Wie eine Mutter ihr Kind nehme ich es in die Arme des Schweigens und höre, warte darüber hinaus. Diese Welt, diese Konflikte, diese Heimatlosigkeit von so vielen soll mir zum Koan werden. Hier und an keinem anderen Ort und zu keiner anderen Zeit will die unendliche Wirklichkeit sich ausdrücken, Mensch werden, Barmherzigkeit finden – in mir, durch mein Lauschen hindurch.

hoeren1An einer kleinen Marienkapelle in Würzburg findet sich eine Steinskulptur, welche die Menschwerdung durch die hörende Maria zeigt. Wie auf einer Rutsche bewegt sich das Jesuskind auf das Ohr Mariens zu: „Mir geschehe“.

Mögen wir ganz Ohr werden, gerade in dieser Zeit der „Ankunft“, des Advents. Zwei sich frappierend ähnelnde Texte aus der buddhistischen und der christlichen Tradition können uns vielleicht begleiten und Zuversicht geben. Der eine stammt aus dem Südindien des 8. Jahrhunderts, der andere von Vinzenz Pallotti (1795-1850), dem römischen Gründer meiner Gemeinschaft:

„Möge ich in allen Lebewesen den Schmerz lindern! Möge ich für alle Kranken Heilmittel, Arzt und Pflege sein bis zum Verschwinden der Krankheit! Mein ganzes Hab und Gut im Heute, Gestern und Morgen gebe ich hin, damit alle Lebewesen das ihnen zugedachte Ziel erreichen.“

„Ich möchte Speise werden, um die Hungrigen satt zu machen; Kleidung, um die Nackten zu bedecken; Trank, um die Durstigen zu erfrischen; Arznei, um den Magen der Schwachen zu stärken; ein weiches Bett, damit sich die Müden ausruhen; Heilmittel und Fürsorge, um die Leiden der Kranken, der Lahmen, der Verstümmelten, der Tauben, der Stummen usw. zu lindern; Licht, um die geistlich und leiblich Erblindeten zu erleuchten …“

P. Paul

 

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Fotos: Inge Hausen-Müller (1,3), Wikipedia Commons, Daderot (2)

 

Das ist genau der richtige Zeitpunkt!

johanneshounken_05Am Dienstag war der erste monatliche Zazenkai ohne P. Johannes. Als wir uns morgens noch kurz sprechen konnten, sagte er mit Nachdruck: “Genau der richtige Zeitpunkt!”

Wie oft hat er diese Realität angesprochen: JETZT! Nicht das Uhrzeiger-Jetzt, sondern der Schnittpunkt zwischen dieser endlichen, verwundbaren, vergehenden Welt und der unendlichen Wirklichkeit in uns, in die wir schon hinein genommen sind und immer mehr werden.
Je mehr wir uns diesem großen JETZT annähern, umso lebendiger wird das Leben auch im Schweren, desto deutlicher werden die nächsten Schritte, die anstehen. Und so ist die Wahrnehmung des Gegenwärtig-Seins wie ein Gehorsam gegenüber dem eigenen Wesen.

“Jôshû lehrte die Versammlung und sagte: ‘Der höchste Weg ist nicht schwer; bloß verabscheut er, wählerisch zu sein.'” (Hegikanroku Fall 2): Für jeden Menschen ist das die lebenslange Einladung, in dieses Bad des JETZT immer neu einzutauchen und dann – ohne wählerisch zu sein – “einfach” zu tun, was “dran” ist.

zendoherbst-2_01Viele haben am vergangenen Dienstag im Dokusan und in persönlicher Begegnung ihre Betroffenheit ausgedrückt. Im Gottesdienst wurde Gemeinschaft geradezu “greifbar”. P. Johannes war und ist mittendrin. Wir hoffen, ihn noch lange so geschenkt zu haben, mit seiner geistigen Präsenz, als weisen Ratgeber und – wenn es die Gesundheit erlaubt – auch als mit-sitzenden Wegbegleiter.

Ob und wann es noch einmal für alle eine Möglichkeit der Begegnung mit P. Johannes in Essen geben wird (und damit verbunden die offizielle Verabschiedung aus der Leitung von Sesshins), teilen wir Ihnen, auch kurzfristig, über diese Homepage, über Mail und (wenn möglich) brieflich mit.

Jetzt aber, lieber Johannes, wünschen wir Dir von ganzem Herzen, dass Du, was immer auch geschieht, in diesem “genau der richtige Zeitpunkt” bleiben kannst. Das tägliche DANKE für den von Dir gewiesenen Weg soll Dich dabei begleiten.

P. Paul

 

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Zum sechsten August – 70 Jahre Atomzeitalter

Das Menschenmögliche überschreitet täglich die Grenzen des Denkbaren. Nicht nur im Erkennen, sondern auch im Vergessen: Sechster August! Sechster August? Auf der Straße gefragt, antworten heute immer mehr Menschen: “Was ist mit dem sechsten August?” In der zweiten Augusthälfte 1945 gab es kaum einen Menschen, der nicht um das Ereignis dieses Tages wusste. Und für viele stellte sich wie noch nie zuvor die Frage nach der Zukunft der Menschheit. 8:15... Artikel ansehen

Baden gehen

Im Schluss-Teisho des langen Juni-Sesshins machte Guido Quinkert das Koan von den 16 Boddhisatvas, die nach Mönchsbrauch das Bad bestiegen, zum Thema: “Und plötzlich erlangten sie Realisierung durch die Berührung des Wassers”, heißt es da. Ist dies nicht eine wundervolle Ermutigung für die Sommer- und Ferienzeit, im Bad die unendliche Fülle des Menschseins zu entdecken? Zeit und Muße der Ferien laden auf besondere Weise dazu ein, die spirituelle Potenz unserer... Artikel ansehen