Im Kardinal-Hengsbach-Haus, dem ehemaligen Priesterseminar in Essen, schreitet ein Besucher – meist ungeachtet – am Pforteneingang über eine mosaikförmig eingelassene Schrift im Steinboden: DESCENDENS ASCENDE – “Hinabsteigend steige auf”. Was besagt dieses Wort am Beginn des dritten Jahrtausends?
Dieses Wort steht auch an der Pforte zum Atomzeitalter. Der Mensch muss in sich hinabsteigen. Er muss in seinem Wesensgrund neue Ressourcen erschließen für seine Zukunft. Die materiellen Energien müssen eine Entsprechung finden in der Freilegung geistiger Energien, durch die die materiellen Energien eingesetzt werden können, zum Dienst und nicht zur Vernichtung des Lebens. Seine Kriegsfähigkeit hat der Mensch bereits bewiesen. Im dritten Jahrtausend kann der Mensch seine Fähigkeit zum Frieden erlernen und beweisen. Gewiss ist, dass der Mensch alle seine Kräfte und Fähigkeiten einsetzen muss, um das Examen für seine Existenzmöglichkeit zu bestehen. Der Mensch kann Werte und Kräfte in sich entdecken, die immer schon in seinem Wesen schlummern. Die Gefahr nötigt, sie zu erkennen und wirksam werden zu lassen. Seine bisherige Existenzform der Konkurrenz soll gewandelt werden zur Proexistenz. Der Mensch muss zu einem neuen Selbstverständnis kommen. Es gibt keine Alternative.
Selbstfindung und Gottfindung sind eins.
Das Höchste und Größte was jeder Mensch im Grunde sucht, findet er nur in sich selbst. Es geht um das allgemein menschlich rechte Dasein, um das In-Sein, von dem Jesus spricht: “Bleibet in mir”.
Das eigentliche Lernziel des Menschen ist er selbst, vorgegeben in seiner Gottebenbildlichkeit. Sein eigenes Wesen ist eine Lerneinheit, in der er immer klarer die unendliche Wirklichkeit und alles Ersehnte in sich selber findet.
Das Programm LEBEN AUS DER MITTE – Zen-Kontemplation im Bistum Essen möchte sich mit allen Initiativen in Richtung Zukunft vereinigen und dem drohenden Tsunami des Pessimismus und der Verzweiflung eine wohlbegründeten Zuversicht entgegensetzen, in der alle Kräfte frei werden und sich mehren, um Wege in die Zukunft zu bahnen.
Unter dem Relief von Pater Lassalle, das in der Weltfriedenskirche in Hiroshima und in einem Duplikat in unserem Meditationszentrum angebracht ist, stehen die Worte: Oremus pro pace mundi.
Wenn man in diesem Relief das Gesicht von Pater Lassalle etwas länger betrachtet, dann kann man wohl verstehen, was er meint mit den Worten:Oremus pro pace mundi. Er spricht diese Worte nicht nur mit dem Mund. Das sind nicht nur Worte, das ist der ganze Mensch, sein ganzes Leben. Nach Hiroschima 1945 war sein Leben pro pace mundi, “für den Frieden in der Welt”. Der Erfahrene wusste um die Macht des Gebetes, in der er selbst seinen Frieden und seine Fähigkeiten und Kräfte zum Frieden erlangte. Sein Gebet um den Frieden war motiviert im Erleben der Katastrophe. Sein Gebet war sein Leben.
In seinem Aufruf Oremus war zugleich Vivamus: “Lasset uns leben für den Frieden in der Welt.” Friede muss getan, im Alltag gelebt werden. Der verweilende Blick auf dieses Gesicht lässt verstehen: Er lebt, was er sagt allen Ernstes: Für das, was er sagt, will er leben und: sterben. Und so ist es: Wie er sein Sterben angenommen hat, hat er noch mehr zum Frieden bewirkt als mit allem, was er gesagt und geschrieben und gebaut hat. Mit diesem Einen von Wort und Tat, von Leben und Sterben, werden seine Worte:Oremus pro pace mundi zu einer stillen, hintergründig geistigen Weltmacht. Sie wirkt auch, wenn sie vergessen wird. Sie motiviert Menschen, so in ihrem Wahren Wesen in eins zu kommen, mit Wort und Tat, mit Leben und Sterben.
So die Dinge in ihre Mitte zu bringen und so aus der Mitte zu leben, das ist das Anliegen in diesem stillen Programm LEBEN AUS DER MITTE – Zen-Kontemplation im Bistum Essen.
P. Johannes Kopp SAC